Zu groß geraten
Eine aktuelle Studie erhebt, warum Wärmepumpen im Nichtwohnbau häufig überdimensioniert sind. Würde anders geplant, könnten die Investitionskosten für die Anlagen zwischen 27 und 45 Prozent reduziert werden, so die Studie.
Heizlast optimieren – Strategien zur Vermeidung von Überdimensionierung bei Wärmepumpen“, nennt sich eine Studie, die von e7 im Auftrag der Wiener MA 20 Energieplanung erstellt wurde und eben veröffentlicht wurde. Das Papier mag manchen Wärmepumpenherstellern, Planern und Anlagenbauern vielleicht nicht so gefallen. All jenen, die Anlagen installieren und betreiben und am Ende die Energierechnung zahlen, könnte das Papier aber wertvolle Anregungen geben. Die Analyse zeigt ganz klar, warum Wärmepumpenanlagen im Nichtwohnbau häufig überdimensioniert sind. Das geschieht nicht aus Bösartigkeit, sondern, weil Planer und Ausführende sich an den einschlägigen Normen orientieren. Diese geben sowohl Bauherrn als auch den Planern und Installateuren die Sicherheit, dass an kalten Tagen reichlich Wärme vorhanden ist und im Sommer die geforderte Kühlung gewährleistet ist. Die geltenden Normen werden oftmals in einem Streitfall vor Gericht als Basis für die Auslegung herangezogen. Entweder müssen die Auftraggeber die Planer aus ihrer Haftpflicht entlassen oder die Planer müssen das Risiko übernehmen.
Solche Risiken werden in der Regel von keinem übernommen, was wiederum zur Auslegung nach Norm und damit zu überdimensionierten Anlagen führt. Genau darin liegt aber das Problem, die Dimensionierung ist so ausgelegt, dass reichlich Reserven vorhanden sind. Und Reserven sind in der Errichtung und im Betrieb teuer. Laut Studie sind die wesentlichen Auswirkungen der Überdimensionierung:
- Die Investitionskosten sind höher als notwendig für die Anlagen (inkl. Redundanz), Verteilnetz und bei Wärmepumpen mit Erdsonden auch für die Entzugsleitungen.
- Zum überwiegenden Teil findet der Betrieb in einem ineffizienten Teillastmodus statt.
- Insbesondere überdimensionierte Wärmepumpen haben einen zu schnellen Ein- und Ausschaltzyklus, der zu höheren Wartungs- und Instandsetzungskosten führt und auch die Lebensdauer der Anlagen verkürzt.
- Empfohlene Pufferspeicher zur Verhinderung von schnellen Ein- und Ausschaltzyklen werden oft aus Platz- und Kostengründen nicht realisiert oder sind hydraulisch so eingebunden, dass sie nur als hydraulische Weiche wirken.
- In Summe führt dies zu höheren Betriebs- und Folgekosten.
- Aus Sicht der Nachhaltigkeit sind zu groß dimensionierte und nicht benötigte Anlagen auch hinsichtlich des erhöhten Materialverbrauchs und der grauen Energie nicht zu empfehlen.
Die Studie winkt aber nicht nur mit dem erhobenen Zeigefinger, sie zeigt auch auf, mit welchen Mitteln im Rahmen des Korsetts der Normen sinnvoll gearbeitet werden kann, oder welche alternativen Herangehensweisen möglich sind, ohne dass am Ende die Nutzer unzufrieden sind, weil das Wohlfühlambiente nur an milden Tagen erreicht wird. Die von Normen abweichenden Planungsansätze, können jedoch nur mit gebotener mit Sorgfalt und in Absprache mit Bauherrn gewählt werden.
Dass mit Alternativvarianten viel Geld eingespart werden könnte, zeigen die Modellrechnungen in der Analyse. Je nach Variante ließen sich in den Wärmepumpen-Leistungsklassen 100 bis 500 kW zwischen 27 und 45 Prozent der Investitionskosten einsparen.
Webtipp: Die Studie von Margot Grim-Schlink, Anita Preisler und Alina Stipsits steht zum Download:
https://www.wien.gv.at/kontakte/ma20/pdf/heizlast-studie.pdf
INTERVIEW: Margot Grim-Schlink
Building Times: Fr. Grim-Schlink, Ihre aktuelle Studie vermittelt den Eindruck, dass viele Wärmepumpen im Nichtwohnbau deutlich überdimensioniert sind. Trifft das zu?
Margot Grim-Schlink: Wir sehen in den Projekten von e7, bei denen wir den Gebäudebetrieb optimieren, zu groß dimensionierte Anlagen. Das trifft aber nicht nur auf Wärmepumpen zu. Generell muss gesagt werden, dass die Gebäudetechnik oft viel zu groß dimensioniert ist. In dieser Studie haben wir uns aber ganz gezielt auf die Heizlast und die Wärmepumpen konzentriert. Viele Auftraggeber*innen, mit denen wir gesprochen haben, haben uns dieses Problem bestätigt.
Building Times: Die Analyse zeigt auf, dass bei anderer Dimensionierung Einsparungen bei den Investitionskosten zwischen 27 und 45 Prozent möglich wären. Was raten Sie Planern und Bauherrn?
Margot Grim-Schlink: Als wir mit der Studie begonnen haben, dachten wir, die Norm ist schuld an diesem Dilemma. Das stimmt aber nur teilweise. Denn es gibt auch innerhalb der Normberechnung viel Spielraum, um Anlagen kleiner zu dimensionieren. Die Norm ist eine Empfehlung und kein Gesetz. Sie gibt etwa Empfehlungen, welche Werte für ungünstige Rahmenbedingungen wie z.B. Wärmebrückenkoeffizienten, Gleichzeitigkeiten angesetzt werden können. Diese Kennwerte passen aber oft nicht mehr für energieeffiziente Gebäude und deren Nutzung. Ich kann aber sehr wohl hier Kennwerte verwenden, die den realen Anforderungen des Objektes entsprechen. Und man sollte entlang der Jahresdauerlinie auch Betriebsfälle definieren, nach denen ich die Anlage auslege. Das heißt, dass ich nicht eine große Anlage umsetze, die die ganze Leistung abdeckt, sondern Spitzenlastsysteme einsetze, die jene Betriebsfälle abdecken, die nur sehr selten auftreten. Damit erreiche ich aber noch nicht das Ende der Fahnenstange. Das wirkliche Einsparpotenzial erkenne ich nur mittels Simulation. Einige Beispiele in der Studie zeigen, dass eine Reduktion der ursprünglichen Normplanung von bis zu 80% möglich ist. Das setzt aber niemand um. Das wäre wohl ein zu großes Risiko.
Building Times: Planer und Bauherrn brauchen Sicherheit, dass eine Anlage die Bedürfnisse der Nutzer erfüllt. Besteht bei einer kleineren Dimensionierung nicht die Gefahr, dass es am Ende zu kalt ist?
Margot Grim-Schlink: Deshalb empfehlen wir eine Berechnung nach Norm, plus eine Simulation. Die Norm ist erforderlich für die Auslegung der Abgabeflächen. Durch die Gegenüberstellung von Normberechnung und Simulation bekommt man genug Informationen für eine gute Risikoabschätzung. Man kann das Planungsrisiko reduzieren, indem z.B. eine Platzreserve vorgehalten wird, wo man bei Bedarf eine weitere Wärmepumpe nachrüsten kann. Das hydraulische System ist ja schon da, eine weitere Anlage schnell installiert. Wir würden empfehlen, dass nicht die Norm die Vertragsgrundlage ist, sondern die einzuhaltenden Komfort- und Nutzungsbedingungen. Wenn die Einhaltung einer Norm im Vertrag steht, können die Planer*innen gar nicht anders, als die Dimensionierung danach auszulegen. Werden die Nutzungsbedingungen Vertragsbestandteil, heißt das aber auch, dass sich die Auftraggeber*innen und Nutzer*innen vorher genau Gedanken machen müssen, welchen Komfort sie brauchen und sinnvollerweise auch mögliche Nutzungsänderungen mitdenken.
Building Times: Gebäude sind Unikate. Lassen sich die Ergebnisse der Studie verallgemeinern? Oder anders gefragt, gibt es Instrumente, die sicherstellen, dass ein erhöhter Planungsaufwand nicht am Ende die möglichen Einsparungen in der Technik kompensiert?
Margot Grim-Schlink: In der Studie haben wir keine Allgemeinlösung vorgeschlagen, sondern mehrere Herangehensweisen für eine optimierte Planung. Da gibt’s natürlich einen Mehraufwand in der Planung, der auch fairerweise abgegolten werden muss. Aber gerade bei größeren Anlagen rechnet sich das. Man muss halt auch dazu sagen, dass das derzeitige Honorarsystem für die Planung nicht sehr förderlich ist. Nehmen die Planer*innen den Mehraufwand für eine genaue Planung auf sich und helfen damit ihren Auftraggeber*innen beim Sparen, dann bekommen sie laut derzeit üblicher Honorarordnung weniger Geld. Deshalb habe ich im Rahmen der IG Lebenszyklus gerade eine Arbeitsgruppe mit Auftraggeber*innen und Planer*innen gestartet, um hier zu besseren Lösungen zu kommen. Ziel ist, dass innovative Planung, die auch bedarfsgerechter sein soll, besser honoriert wird.
Building Times: Sie haben für Ihre Berechnungen auch Varianten mit Simulationen gerechnet. Lohnt sich der Aufwand für dieses Instrument tatsächlich?
Margot Grim-Schlink: Ja. Je größer die Anlage, desto schneller rechnet sich das. Wir reden ja bei einer größeren Anlage gleich mal von 100.000 € Einsparung und mehr. Soviel kostet keine Simulation für eine optimale Auslegung. Abgesehen davon hat eine Simulation ja nicht nur den Nutzen für eine optimierte Auslegung, sondern ich kann damit die Planung in vielen Bereichen optimieren.
Building Times: Die Statik von Gebäuden wird von Prüfstatikern überprüft. Wäre es sinnvoll, Haustechnikkonzepte künftig einer Prüfung durch Dritte zu unterziehen?
Margot Grim-Schlink: Je komplexer die Gebäudetechnik, desto wichtiger wird die unabhängige Qualitätssicherung der Haustechnik. Die Haustechnik macht ja jetzt schon oft 50% der Investitionskosten aus. Da ist das durchaus gerechtfertigt. Aber das ist ein anderes Thema.
Building Times: Braucht es Ihrer Ansicht nach weitere Untersuchungen, um künftig das Optimum bei Wärmepumpen im Nichtwohnbau zu erreichen?
Margot Grim-Schlink: Es wäre fürs Erste schon ein Meilenstein, wenn bei der Planung von Heizungsanlagen die in der Studie genannten Empfehlungen umgesetzt würden. Die Frage ist ein wenig, wie man es in die Regelwerke bekommt, dass bedarfsgerechter dimensioniert wird. Meine Hoffnung ist, dass wir durch diese Studie die Sensibilität für diese Problematik sowohl bei Auftraggeber*innen als auch Planer*innen erhöhen. Insbesondere, dass Auftraggeber*innen bewusst ist, dass sie bei der Beauftragung von Planer*innen ihre Qualitätsanforderungen auch definieren müssen. Mich würde zusätzlich noch interessieren, wie groß dieses Problem bei Kälte- und Lüftungsanlagen ist. Ich orte hier ähnliche Zustände, kann es aber noch nicht beziffern. Vor allem vor dem Hintergrund von Corona. Sind die Lüftungsanlagen bereits überdimensioniert oder trifft das nur auf einzelne Gebäudetypen zu? Ist es künftig sinnvoll, die Anlagen noch größer zu machen, um sich für solche Pandemien zu rüsten, oder ist es schon genug? Oder sollte man doch für den Normalbetrieb bauen und Strategien für solche Sondersituationen entwickeln? Hierfür würde ich noch gerne weiter forschen.