„Sensibilität hat zugenommen“
Friedrich Singer, Produktmanager für Rohrsysteme bei Geberit, über die gestiegenen Anforderungen in der Wasserhygiene, die relativ junge Disziplin des Kaltwasser-Managements und die Betreiber-Verantwortung in Sachen Trinkwasser.
Herr Singer, die Trinkwasserhygiene rückt immer mehr in den Fokus. Warum ist das so?
Das Thema ist mit der Einführung der ÖN B5019 2017 verstärkt in den Fokus gerückt, weil damit konkrete Vorgaben im Bereich der zentralen Warmwasseraufbereitung definiert wurden. Zusätzlich wurden hygienische Anforderungenformuliert und Maßnahmen festgelegt, was bei konkreten Problemen in Anlagen getan werden muss. Anfangs stark umstritten, ist die Norm heute etabliert und speziell für die technischen Rahmenbedingungen unerlässlich. Sie hat aber besonders aufgrund der Temperaturniveaus bei Kaltwasser weitere spezielle Herausforderungen gebracht. Zudem wird das Thema Hygiene versus Energieeffizienz intensiv diskutiert. Die Sensibilisierung hat insgesamt sicher zugenommen, daher werden Probleme bei der Trinkwasserhygiene heute besser wahrgenommen. Und nicht zuletzt hat sich die Industrie des Themas verstärkt angenommen und bietet Lösungen für diverse Anforderungen an. Das Thema bleibt auf alle Fälle spannend.
In welchen Gebäudesegmenten treten die Infektionsfälle am häufigsten auf?
Der jährlich erscheinende Legionellenbericht der nationalen Referenzzentrale der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) listet die gemeldeten Fälle detailliert auf. Im Jahresbericht 2017 etwa sind insgesamt 219 Infektionsfälle registriert. Zusammenfassend zeigt sich da, dass speziell im Krankenhaus- und Pflegebereich nur wenige Infektionen erfolgten, nämlich lediglich vier. Hingegen waren 75 Fälle Beherbergungsbetrieben zuzuordnen. Der Bericht zeigt zudem, dass leider nur 23 der 140 an anderer Stelle erworbenen Infektionen einer speziellen Anlage zugeordnet werden konnten. Diese wenigen zuordenbaren Fälle teilen sich auf Freizeiteinrichtungen, Haushalte, eine Kaserne, ein Hallenbad, einen Arbeitsplatz und eine Autowaschanlage als Infektionsstätten auf. Zudem sind 33 Fälle von Legionärskrankheiten bei ausländischen Touristen erfasst, die sich während ihrer Inkubationszeit in Hotels, auf Campingplätzen und einem Schiff aufhielten. Die breite Verteilung der Fälle ist ein Grund dafür, dass Hygienenormen immer ein sehr großes Spektrum an unterschiedlichen Gebäudetypen abzudecken versuchen.
Auf der ISH waren erste Systeme zu sehen, mit denen Trinkwasser in Gebäuden gekühlt wird. Ist das nicht ein wenig übertrieben?
Wir wissen heute, dass aufgrund einiger Faktoren die Problematik im Kaltwasser zugenommen hat. Dazu gehören Kaltwasserhauseinführungen in Heizzentralen, enge, dicht belegte Schächte mit vielen warmgehenden Leitungen, ein zu geringer Abstand zwischen Kalt- und Warmwasserleitung und auch immer länger werdende Hitzeperioden. Oft kommt das Kaltwasser schon mit einer höheren Temperatur als zulässig ins Gebäude und erwärmt sich dort noch weiter als auf die zulässigen 25 Grad. Sofern nicht über den bestimmungsgemäßen Betrieb ein Wasseraustausch sichergestellt ist, muss dies über andere Wege erfolgen. Die Kühlung von Kaltwasser ist einer davon – derzeit aber erst in einer Studienphase mit wenigen ausgewählten Projekten im Test. Energetisch und hygienisch ist zu hinterfragen, ob dies ein vernünftiger Lösungsansatz ist, weil die Kühlung ja auch immer mit anderen Maßnahmen wie Filterung und Spülung verknüpft werden muss.
Wie sieht die Lösung von Geberit aus?
Wir gehen weiterhin den Weg des kontrollierten Wasseraustausches – sei es über WC-Elektronik, Urinal-Steuerungen, Waschtisch-Armaturen oder die beiden Hygienespülungen für die unterschiedlichen Einsatzbereiche. Zur Reduzierung von Wärmeeintrag im Schacht und für mehr Platz für die Steigleitungen kann die Geberit Inliner Zirkulation verwendet werden. Darüber hinaus forschen wir in diversen Entwicklungsprojekten nach weiteren Optimierungen und Lösungen für unsere Geberit Rohrsysteme.
Welche Vorkehrungen sind Ihrer Ansicht nach im normalen Wohnbau notwendig, um die Hygiene des Wassers sicherzustellen?
Die beste Maßnahme wäre es, nur Entnahmestellen zu haben, die auch tatsächlich verwendet werden. Entnahmestellen, die dem nicht entsprechen, sind konsequent stillzulegen. Probleme gibt es sicher in Gebäuden, in denen Wohnungen über längere Zeiträume nicht vermietet sind. Dazu zählen auch Ferienwohnungen mit unregelmäßigen Belegungen. Dort geht es tatsächlich nur über entsprechende händische Spülmaßnahmen oder automatisierte Spülungen über Armaturen und Hygienespülungen. Dass Wasseraustausch notwendig ist, um die Hygiene sicherzustellen, muss auch verstärkt in das Bewusstsein der Anlagenbetreiber kommen. Niemand würde ein Glas Wasser trinken, das zwei Tage gestanden ist. Bei Wasser aus der Leitung wird das kaum hinterfragt. Ein spezielles Thema in diesem Kontext sind übrigens Versicherungsbedingungen, die besagen, dass die Wasserversorgung bei Abwesenheiten von mehr als 72 Stunden abgesperrt werden muss. Denn dies widerspricht den Vorgaben für Spülungen.
Ein Problem, das technisch lösbar erscheint, oder nicht?
Es ist gelöst. Die Geberit Hygienespülung kann über ihre spezielle Schnittstelle auch ein externes Magnetventil ansteuern, das während der Spülung öffnet und danach wieder schließt. So lassen sich sowohl Versicherungsanforderungen als auch Hygieneanforderungen erfüllen. In unzähligen Gründerzeit- und anderen Altbauten wurden Bleirohre verbaut. Stellen diese Rohre noch eine relevante Gesundheitsgefährdung dar, oder sind sie im Wesentlichen getauscht? Die deutliche Reduktion von 25 auf 10 μg/l Blei bei der Entnahmestelle in der Trinkwasserverordnung 2013 hat zu einer verstärkten Wahrnehmung des Themas geführt. Seitens Wiener Wasser wurde betont, dass schon viel länger, nämlich seit 2007, alle alten Hausanschlüsse getauscht wurden. Innerhalb der Gebäude gibt es sicher noch einige wenige solcher Installationen. Wie stark es dabei zu Bleimigration kommt, ist schwer zu beurteilen und hängt von mehreren Faktoren ab. Gemäß der Trinkwasserverordnung ist der Betreiber verpflichtet, die Grenzwerte einzuhalten. Wenn ein Verdacht besteht, ist dieser über eine Wasserprobe zu prüfen und im Bedarfsfall die Installation im Gebäude zu erneuern.
Kann man bei der Installation von Trinkwasser Fehler machen, die die Hygiene beeinträchtigen, oder sind die Systeme der Hersteller schon so ausgetüftelt, dass auf der Baustelle nichts mehr passieren kann?
Wie bei allem im Leben ist nichts zu 100 Prozent sicher. Natürlich können bei der Planung und Ausführung einer Anlage Fehler passieren, die sich negativ auf die Hygiene auswirken. Die Branche ist heute aber viel sensibler geworden, um diese Problembereiche zu erkennen und zu vermeiden. Im Gesundheitsbereich ist die aktive Zusammenarbeit zwischen Planer, Installateur und Hygienikern gefragt. Wir von Geberit bieten seit vielen Jahren Schulungen im Bereich Trinkwasserhygiene an. Wir arbeiten diesbezüglich auch aktiv mit anderen Marktpartnern wie Kemper, Wilo, Grünbeck und Reflex zusammen, um einen möglichst großen Nutzen für unsere Kunden zu schaffen. Wissen ist ein wesentlicher Faktor zur Erkennung und Vermeidung von Problemen.
Wer haftet eigentlich im Fall einer Legionella-Infektion für die Folgen?
Grundsätzlich ist im Rahmen der Trinkwasserverordnung der Betreiber einer Anlage dafür haftbar zu machen. Installateure und Planer müssen ihrer Hinweispflicht nachkommen und den Bauherrn über die gesetzlichen Vorgaben, Normen und den allgemeinen Stand der Technik informieren. Wenn der Bauherr dies dann aber nicht umsetzt, liegt es in seinem Verantwortungsbereich. Mängel in Planung und Ausführung sollten unbedingt vermieden werden. Empfehlenswert – nicht nur juristisch, sondern auch technisch – ist eine klar nachvollziehbare Dokumentation der Anlage. Diese kann dann auch bei Problemen mithelfen, Lösungen zu finden.
Gibt es dazu schon Verurteilungen in Österreich oder ist das ein Graubereich, weil die Zuordnung der Infektionsquelle nicht klar eruierbar ist?
Juristisch sind solche Fälle sehr differenziert zu betrachten und kaum vergleichbar. Im Falle einer Anlagenverkeimung spielen viele Faktoren eine Rolle, die individuell beurteilt werden müssen. Es gab schon Fälle von Verurteilungen, die sowohl Anlagenbetreiber als auch ausführende Firmen betroffen haben. Ein klarer Nachweis über die Herkunft von Infektionen ist oftmals sehr aufwendig, kostenintensiv und schwierig.