Expertenforum: „Wir bauen historisch“
Billig Bauen. Geht das noch? Das war die zentrale Frage des 2. Building Times-Expertenforum des Jahres am 23. Mai. Drei hochkarätige Experten und ein diskutierfreudiges Fachpublikum machten den Abend zu einem wertvollen Netzwerk-Treffen.
Es diskutierten Oskar Böck, Verlaufsleiter bei der Engie Gebäudetechnik GmbH, Karl Weidlinger, Geschäftsführer der Baufirma Swietelsky und Alexander Nussbaumer, Geschäftsführer und Eigentümer der Zima Holding AG mit Sitz in Dornbirn. Was passiert wenn der Vertreter eines Baukonzerns, eines Bauträgers und eines Anlagenbauers über die eine Frage diskutieren?
Gleich vorweg, mit „billig Bauen“, war eigentlich kostengünstiges Bauen gemeint. Und das wird schwierig, wie ein Blick in die Statistik zeigt: die Baukosten steigen laufend. Das obwohl die Baustoffindustrie und die Hersteller von Lüftung, Klima, Heizung und Sanitär meinen, dass ihre Innovationen den Baufortschritt beschleunigen. Daraus sollten sich kostenseitig eigentlich Vorteile ergeben.
Das ist kaum der Fall, wie die Preisentwicklung bei Wohnungen ganz klar zeigt. Sieht man sich die Ergebnisse der Bauindustrie an, könnte man daran zweifeln, dass sich diese Sparte krumm verdient: Wir haben echte Umsatzknaller, beim Ergebnis sind sie aber eher Zwerge. Baufirmen, die eine Marge von mehr als 3 Prozent erwirtschaften, sind eher rar und werden mitunter schon schief angesehen.
Stellte sich die Frage, wo verpuffen die Produktivitätssteigerungen, welche die Bau-Komponenten-Hersteller mit ihren Innovationen in Aussicht stellen? Gibt es sie überhaupt? Weiters wurde auch die Frage erörtert, was mehr Druck auf die Baukosten ausübt: Höhere Komfortansprüche oder die laufend mehr werdenden Normen und Regelwerke? Und natürlich die Frage, ob in unseren Breiten zu viel Technik verbaut wird und welche Auswirkungen die Digitalisierung der Gebäudetechnik auf die Kosten hat? Und am Ende wurde auch diskutiert, ob neues Bauen mit Fertigteilen, Holz und Modulen tatsächlich Kostensenkungen bringt und ob damit noch eine architektonische Vielfalt möglich ist.
Erfrischend uneinig
Als erster Impulsreferent legte Oskar Böck, Verkaufsleiter bei Engie Gebäudetechnik seine Sicht der Dinge dar. Er plädierte ganz klar für mehr Kooperation zwischen den Gewerken. Wenn sich die relevanten Player früh genug an einen Tisch setzen, würden Optimierungen möglich, die letztlich auch die Kosten bremsen, so Böck. „Die Frage ist, wie gehen wir mit den Schnittstellen um, wenn wir uns immer frontal gegenübersitzen“, frägt er. Mit einer anderen Projektkultur ließen sich die Kosten der Errichtung und im Betrieb senken, ist Böck überzeugt. „Wir diskutieren viel über den Bestbieter und am Ende zählt dann doch der Preis“, weiß der Manager aus der Erfahrung. Er sieht jedoch auch Schwachstellen im Betrieb von Gebäuden. „Es gibt kaum Anlagen, die im Brennwertbereich laufen, obwohl die Technik dafür installiert ist“, weiß der Techniker und wünscht sich nebenbei etwas mehr Dynamik: „Wir leben vielfach im Gestern, ich würde mir ein Gebäude mit tausenden Followern wünschen, wie dies bei vielen Nebensächlichkeiten inzwischen Usus ist“, erklärt Böck. In diesem Wunsch ist auch der Einsatz von BIM inkludiert, was die Planungskultur verändern sollte.
Einen verwandten, aber doch ganz anderen Fokus, legte der Swietelsky-Chef Karl Weidlinger dem Fachpublikum dar. Er sieht den Rohbau nicht als das Übel für die Kostenexplosion, weil dessen Anteil an den Gesamterrichtungskosten relativ gering sind. Noch vor zehn Jahren entfiel mehr als die Hälfte der Kosten auf den Rohbau. Inzwischen hat der Ausbau den größeren Anteil an den Gesamtkosten. Auch die höheren Energiestandards hätten die Kosten erhöht, so der Konzernchef. Ein Passivhaus kostet rund 15 Prozent mehr, diese Mehrkosten sind aber gerechtfertigt, da ja im Betrieb viel eingespart wird“, so Weidlinger. Er bestreitet jedoch nicht, dass Mauern und Fundamente teurer geworden sind. Das aber vor allem deshalb, weil Materialien sehr teuer geworden sind. „Bei Baustahl betrug die Preissteigerung allein in den letzten drei Jahren rund 50 Prozent. Auch andere Produkte sind gewaltig gestiegen, dort ist das Potenzial“, meint Weidlinger. Er weiß aber auch, dass die Produktivitätssteigerungen am Bau noch ausbaubar sind. „Dort ist das Potenzial“, ist Weidlinger überzeugt. Wesentliche Kostensenkungspotenziale sieht der Manager in BIM, einer Umstellung der Prozesse und auch in anderen Vertragsmodellen. Weiters wichtig sei eine frühe Planung, damit das baubegleitende Planen endlich ein Ende hat. „Billig Bauen ist eine Kulturfrage, es gäbe auch die Möglichkeit angestrebte Kostensenkungen unter den Beteiligten zu teilen“, so der Swietelsky-Chef.
„Wir haben neun Bauordnungen, keine Lobby für die Wohnenden und kaum Innovationen“. Mit dieser Ansage konterkarierte Alexander Nussbaumer als dritter Impulsgeber das bislang Gesagte. Die Diskussion gehe am Grundproblem vorbei: „Wir bauen historisch, wir erfinden jede Baustelle neu und arbeiten höchst ineffizient“, sagt er. Es sei ein Irrwitz, dass 20 bis 30 Gewerke am Bau vertreten sind und jedes Gewerk nur an seine eigene Sache denkt, so der Vorarlberger. Es sei höchst fragwürdig, dass zum Beispiel 150 Kilo schwere Fenster per Hand in den zweiten Stock getragen werden und dort mit Risiko und auf Zufälligkeit beruhender Präzision eingeschäumt werden. Seine Lösung: „Wohnen ist industrialisierbar, denn das Denken in Zimmern bleibt bestehen“, ist er sicher. Es bräuchte dringend disruptive Veränderungen, um die Kostenexplosion zu bremsen und Wohnen leistbar zu halten, betont der Bauträger.
Wie das aussehen könnte zeigte Nussbaumer den Gästen anhand von einer Modul-Vorfertigung, die die Zima in Kooperation mit der Kaufmann Bausysteme GmbH betreibt. Rund 3.500 Vollholz-Module wurden bislang im steirischen Kallwang gefertigt. Nicht wenig davon traten die Reise nach Deutschland an, wo in Hamburg ein Studentenheim realisiert wurde. In München sei man inzwischen auch gut im Geschäft, weil man dort bereits unter dem Marktpreis liege, obwohl Holz kein billiger Baustoff sei, wie Nussbaumer betont. Je nach Anforderung werden auch ein Estrich oder die gesamte Sanitärausstattung in der Halle in die Raummodule. „Und der Transport nach Hamburg verursacht weniger CO2 als das Bauen vor Ort“, ist Nussbaumer überzeugt. Er versteht nebenbei erwähnt auch nicht, warum noch immer eine Fußbodenheizung verbaut wird. „Wir hatten in den 60-er Jahren kalte Füße, das ist Vergangenheit, betont er. Nussbaumer ist sicher, dass sich der Wohnraum vom Fließband etablieren wird. Es sei aber auch noch viel Optimierung erforderlich, weil in manchen Bereichen die technischen Lösungen noch nicht entwickelt sind.
Einig waren sich das sehr diskutierfreudige Publikum und die Referenten am Ende in einer Frage. Der Bau ist nur Teil der Gesamtkosten. Wenn nicht auf die Lebenszykluskosten geachtet wird, ist jeder noch so günstige Bau zu teuer.