„Volle Agilität gefordert“

Krieg, Rekordumsatz, extrem hohe Rohstoff- und Energiekosten sowie die anhaltend hohe Nachfrage nach Styropor (EPS) fordert das Management der Hirsch Servo Gruppe. Die Expansion geht im 50. Jahr trotzdem weiter.

Hirsch Servo feiert heuer seinen 50. Geburtstag. Das Unternehmen agiert in zwei Sparten, der Verarbeitung von Styropor und es baut auch die Maschinen, die andere Dämmstoff- oder Verpackungshersteller für die Produktion benötigen. Die Zahlen verleiten zum Feiern: Der Umsatz des inzwischen größten europäischen EPS-Verarbeiters ist im abgelaufenen Geschäftsjahr von zuletzt 275 auf 425 Millionen Euro gestiegen. Den größten Umsatzanteil erzielt Hirsch Porozell in Deutschland, gefolgt von Frankreich und Rumänien. Dahinter liegt Österreich. Und zuletzt hat sich Italien sehr prächtig entwickelt.

Die Nachfrage nach Dämmstoff ist hoch, die Preise sind kräftig gestiegen. Um die Versorgung des Marktes zu sichern, ist viel Knochenarbeit zu leisten, wie Vorstand Harald Kogler erklärt. Die Rohstoffpreise sind extrem hoch und volatil, die Energiekosten sind massiv gestiegen und die Fachkräfte fehlen wie überall. Es seien bewegte Zeiten, in denen Management und Verantwortung gefragt sei, wie Kogler betont. Und das bei allen am Bau beteiligten Akteuren. Wie fordernd die Zeiten sind, zeigte sich bei Hirsch auch im Fall der ukrainischen Niederlassung in Kiew. Diese wurde gleich zu Beginn des Krieges nach Lwiw verlegt. Dort hatte man einen Tag vor Ausbruch der Kampfhandlungen ein Büro angemietet, um den Bau einer zweiten Produktion zu managen. Das Grundstück ist bereits angekauft, die Pläne werden weiterverfolgt. Im bestehenden Werk südöstlich von Kiew wird weiterhin produziert.

Um bei der EPS-Verarbeitung nicht von Erdgas abhängig zu sein, hat Kogler mit seinem Team in Rekordzeit in allen wesentlichen Werken ein Back-up mit Öl installiert. Mittelfristig sollten die Werke auf Dampf aus Biomasse umgestellt werden. Mit enormen Kosten. Für einen Gas-Dampf-Kessel werden rund 700.000 Euro veranschlagt, ein Biomasse-Kessel mit vergleichbarer Leistung schlägt sich mit 4 bis 5 Millionen Euro zu Buche, wie Kogler sagt. Das war eigentlich bis 2030 geplant, wird aber jetzt schneller realisiert. Zu den ausufernden Stromkosten hat der frühere Kelag-Manager eine ganz klare Meinung: „Die Liberalisierung der Strommärkte ist danebengegangen“, sagt er.

Trotz aller widrigen Umstände ist Hirsch weiter am Expandieren. Im Bereich Maschinenbau wurden zuletzt zwei Firmen erworben. Damit ist diese Sparte auf 250 Mitarbeiter gewachsen. Und bei der EPS-Verarbeitung steht ebenfalls eine Ausweitung an. „Wir sind kurz davor, zwei Werke eines Familienunternehmens in Finnland zu übernehmen“, so Kogler. Die rasante Erfolgsstory kann also weitergehen.

 

INTERVIEW: Harald Kogler

Building Times: Herr Kogler, Hirsch Servo feiert heuer einen runden Geburtstag. Ist Ihnen zum Feiern, oder trüben die Rahmenbedingungen die Stimmung?

Harald Kogler: Normalerweise sollte man richtig feiern, es fehlt aber leider die Zeit dazu. Die Rahmenbedingungen ändern sich in allen Bereichen. Es gibt einen Umbruch in der Gesellschaft, in der Politik und in Europa, all das zwingt zum Handeln, es erfordert volle Agilität.

Building Times: Was meinen Sie damit konkret?

Harald Kogler: Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wir haben am ersten Tag des Krieges alle Aufträge aus Russland gestoppt, um ein Zeichen zu setzen. Zugleich haben wir sofort entschieden, uns gegen ein Ausbleiben von Erdgas abzusichern. Wir haben in den wichtigsten Werken nun sehr kurzfristig ein Back-up mit Öl installiert. Mittelfristig ist geplant, die Dampferzeugung in allen Werken auf Biomasse umzustellen.

Building Times: Geht die Umstellung auf Öl so schnell?

Harald Kogler: Ja, wir haben bereits am zweiten Tag Tanks gekauft und begonnen, Pumpen und Brenner zu organisieren. Mir war bewusst, dass derjenige, der zuerst bestellt, noch Ware ohne lange Lieferzeiten kriegt. Das ist der Vorteil eines dynamischen Unternehmens. In einem Konzern dauern solche Entscheidungen viele Monate.

Building Times: Das heißt, das Feiern wird durch Trouble-Management ersetzt.

Harald Kogler: Nicht ganz, wir werden heuer auf der Kunststoff-Messe in Düsseldorf unsere 50-Jahr-Feier abhalten.

Building Times: Wie ist das Jahr 2021 für Hirsch Servo gelaufen?

Harald Kogler: Unser Wirtschaftsjahr endete am 31. März. Wir konnten den Umsatz von 275 auf 425 Millionen Euro steigern. Wir waren in der glücklichen Lage, dass wir immer lieferfähig waren und haben die sich ergebenden Chancen, etwa in Italien, entsprechend genutzt.

Building Times: Sie haben aber auch zugekauft, wieviel davon war organisches Wachstum?

Harald Kogler: Ja, wir haben 2020 vier Werke in Tschechien gekauft und die sind jetzt erstmals mit rund 25 Millionen Euro umsatzrelevant. Der Rest entfällt auf organisches Wachstum unserer bestehenden Werke.

Building Times: Auch wegen der deutlich gestiegenen Preise, oder?

Harald Kogler: Ja, natürlich. Wir sind als Verarbeiter den wenigen Rohstofflieferanten ausgeliefert. Die bestimmen den Preis und wir konnten die Steigerungen dank der guten Baukonjunktur weitergeben.

Building Times: Hat sich die Situation bei den Rohstoffen inzwischen eingependelt?

Harald Kogler: Nein, im Gegenteil. 2020 haben wir die Tonne um rund tausend Euro gekauft, jetzt liegen wir bei 2.800 bis 3.000 Euro. Derzeit liegen wir seit rund einem Monat stabil, es weiß aber niemand, wie es weitergeht. Es gibt Lieferanten, die Bestellungen annehmen, den Preis dafür aber erst zwei Wochen später liefern.

Building Times: Aber machen Sie es nicht auch so?

Harald Kogler: Nein, für Bestellungen gibt es einen Preis. Das Problem sind Projekte, die erst in einigen Monaten geliefert werden. Da ist die Preisfindung sehr schwierig.

Building Times: Führt das zu kurzfristigeren Bestellungen?

Harald Kogler: Nein, die Angst kein Material zu kriegen ist größer als die Angst vor hohen Preisen. Es gibt Baufirmen, die legen Dämmstoff vorsorglich auf Baustellen, wo er erst in einigen Monaten gebraucht wird.

Building Times: Wenn EPS teuer geworden ist, gewinnen da nicht andere Dämmstoffe an Attraktivität?

Harald Kogler: Nein, weil bei anderen Dämmstoffen der Energieeinsatz deutlich höher ist.

Building Times: Die Bauträger klagen über die hohen Baupreise und legen Projekte in die Schublade. Bremst das die Entwicklung im laufenden Jahr?

Harald Kogler: Natürlich kann jetzt etwas passieren. Aber angesichts der gestiegenen Energiepreise führt kein Weg an der Dämmung vorbei. Und der Wohnbau kann auch nicht gänzlich zum Erliegen kommen, weil der Wohnraum gebraucht wird. Bei den Energiepreisen ist die Politik gefordert, sie könnte etwas machen, schaut aber derzeit noch ohnmächtig zu.

Building Times: Was könnte die Politik tun?

Harald Kogler: An allen großen Stromversorgern halten Bund und Länder mit zumindest 51 Prozent die Mehrheit, damit könnte man gestalten. Man sieht aber zu und versteckt sich hinter dem Aktienrecht.

Building Times: Ihr Unternehmen produziert in der Ukraine. Wie steht es darum?

Harald Kogler: Es ist unbeschreiblich. Zu Beginn des Krieges haben wir die Niederlassung von Kiew nach Lwiw verlegt. Unser Werk liegt rund 220 Kilometer südöstlich von Kiew entfernt und produziert auch. Die Beschäftigten dort sind froh, dass sie arbeiten können. Das Privathaus unseres Geschäftsführers wurde völlig zerstört. Er ist aber vor Ort und bereitet weiterhin ein geplantes Werk in Lwiw vor.

Building Times: Ist das Baugeschehen in der Ukraine nicht völlig zum Erliegen gekommen?

Harald Kogler: Nein, es wird versucht, in jenen Regionen, die nicht umkämpft sind, die Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Und zerstörte Häuser werden repariert – das alles natürlich auf niedrigem Niveau.

Building Times: Sind ukrainische Hirsch-Mitarbeiter jetzt in anderen Ländern tätig?

Harald Kogler: Wir haben das angeboten, aber nur wenige Mitarbeiter der Niederlassung in Kiew wollten das Land verlassen. Die Frau des Geschäftsführers ist mit ihren Kindern nach Klagenfurt gekommen und arbeitet jetzt im Hirsch Maschinenbau. Seine Assistentin mit Kind ist bei Hirsch in Polen beschäftigt. Wir sind sehr froh, dass bislang niemand von unseren Mitarbeitern ernsthaft zu Schaden gekommen ist.