Ein Hochseilakt
Die laufende Neugestaltung der OIB-Richtlinien gleicht einem Hochseilakt, bei dem viele Interessengruppen heftig am Seil sägen. Auswirkungen auf das Baugeschehen werden die neuen OIB-Richtlinien allemal haben. Mit der Leistbarkeit des Wohnens wird es nichts.
Eine Neufassung der Richtlinien alle vier Jahre, das habe sich so eingespielt, heuer vor allem vor dem Hintergrund der Europäischen Gebäude-Richtlinie, erläutert Rainer Mikulits, Geschäftsführer des Österreichischen Instituts für Bautechnik OIB. Die erste Fassung der Richtlinien gab es übrigens 2007, und sie hat, wie auch die nachfolgenden, teilweise erhebliche Auswirkungen auf das Baugeschehen gehabt – die OIB-Richtlinien sind immerhin die Basis für die spätere Baugesetzgebung der Bundesländer. Die Richtlinien sind in sechs Gruppen gegliedert, wobei die RL 1 „Mechanische Festigkeit und Standsicherheit“ behandelt, RL 2 deckt den „Brandschutz“ ab, RL 3 ist „Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz“ gewidmet, OIB-Richtlinie 4 befasst sich mit „Nutzungssicherheit und Barrierefreiheit“, RL 5 beschreibt den „Schallschutz“ und RL 6 setzt sich eben mit „Energieeinsparung und Wärmeschutz“ auseinander.
Endredaktion bis Jahresende
Bis Mitte September hatten alle Interessenten Zeit, in einem schriftlichen Anhörungsverfahren Stellung zu nehmen, seither laufen wöchentliche Sitzungen des „Kontaktforums“, von denen es für jede Richtlinie ein eigenes gibt. Vorsitzender all dieser Kontaktforen ist der steirische Spitzenbeamte Robert Jansche, Leiter des Referats für Bautechnik und erster stellvertretender OIB-Vorsitzender. Bis Jahresende ist die Endredaktion der neuen Richtlinien geplant, die Beschlussfassung sieht Mikulits für Anfang 2019 vor, „das Inkrafttreten in den Ländern wahrscheinlich bis Jahresmitte 2019.“ Für Jansche ist es deshalb „eine Prämisse, dass die Bundesländer so wenig Abweichungen wie möglich in ihren Baugesetzen vornehmen.“ Jansche ist sozusagen der oberste Hochseil-Akrobat, der auch das Procedere erläutert: „Wir haben uns in den letzten Wochen alle Stellungnahmen angeschaut, die oft sehr ähnlich oder gleichlautend sind. Dabei hat sich gezeigt, dass in der Richtlinie 6 die ‚Konversionsfaktoren‘ echte Kernpunkte sind“, sagt er im Gespräch mit Building Times und betont die Grundhaltung der Bau-Regulatoren: „Wir müssen schauen, wie wir Energie einsparen können.“
Strom mit Täuschungseffekt
„Ja“, bestätigt OIB-Chef Mikulits, „die Diskussionen entzünden sich meist an den Konversionsfaktoren. Die braucht man aber, um den Primärenergiebedarf und die CO2-Emissionen berechnen zu können. Die lassen sich nicht mehr physikalisch berechnen, und das Ziel ist der Endenergiebedarf.“ Letzterer sei die Energie, „die in die Blackbox Gebäude“ gesteckt werde. „Aber auch am Weg und bei der Produktion gibt es Verluste, und wenn man die berücksichtigt, erhält man den Primärenergiebedarf. Doch den kann man nur mehr über Statistiken ermitteln“, so Mikulits. Der Energie-Mix ändere sich ständig, was auch für die CO2-Emissionen gelte. Robert Jansche bezeichnet die RL 6 schlicht als „Schlangengrube pur“. Gemeint ist der Haupt-Streitpunkt, die Aufbringung und Herkunft des elektrischen Stroms samt den dazugehörigen Emissionen. Die Debatten darüber sind so heftig – sie reichen von „OIB als Klimakiller“ (Günter Lang, Passivhaus Austria) bis zu „Damit wird der Strom kaputt gemacht“ (IR-Obmann DI Günter Hraby) –, dass wir den Experten Johannes Fechner vom Beratungsunternehmen 17&4 um seine Einschätzung gebeten haben.
„Leider ermöglicht die gesetzliche Regelung eine Kundentäuschung mit der Bezeichnung Ökostrom“, sagt Fechner und verweist auf eine Arbeit des Umweltbundesamtes, in der es wörtlich heißt: „Der von e-control angegebene Wert beruht auf Herkunftsbezeichnungen und stimmt daher mit den tatsächlich gehandelten Strommengen nicht überein. Damit hat er auch für eine Bewertung der Klimarelevanz keine Bedeutung.“ Das steht übrigens auch im Vorwort zum Richtlinien-Entwurf.
„Über die Konversionsfaktoren kann man trefflich streiten“, sagt Mikulits und nennt als Beispiel dafür die Streuung der von verschiedenen Interessensgruppen vorgeschlagenen Konversionsfaktoren: Die reichen „von 65 g/kWh bis 275 g/kWh“. Im aktuellen Entwurfsstand kommt etwa die „feste Biomasse“ nur auf 17 g/kWh – ohne Berücksichtigung der Feinstaub- und NOx-Belastung, ganz zu schweigen von den Transporten und Importen.
Während der Heizwärmebedarf berechnet werden könne, seien die politisch brisanteren Werte Primärenergiebedarf und CO2-Emissionen Werte, „die von Tag zu Tag und von Stunde zu Stunde schwanken.“ Die könne man nun stundenweise, monats- oder tagesweise ermitteln, so Mikulits. Jansche und seine Mit-Regulatoren wollen jedenfalls beim Strom eine Jahresbilanz. Der Steirer fügt aber auch an, dass neben der Gebäuderichtlinie (EPBD), die im Juli 2018 in Kraft getreten ist und von den EU-Mitgliedern innerhalb von 20 Monaten umgesetzt werden muss, auch das Euro-Atom-Paket einzuarbeiten sei, das auch für Bestandsgebäude gelte, weshalb etwa die Radon-Belastung Auswirkungen auf die RL 3 habe. Auch die Gammastrahlung sei jüngst erst dazugekommen. „Innerhalb einer Wohnung darf nach der Fertigstellung die Belastung nicht mehr als ein Millisievert höher sein als auf dem Grundstück. Ich habe dann eine Benützungsbewilligung, muss aber sechs Monate lang messen lassen – und wir hoffen nicht, dass es dann zu Problemen kommt“, so Jansche. Er ist Beamter und gibt sich pragmatisch: „Wir werden alles abarbeiten und am Ende werden eh alle jammern. Aber das ist gut so, sonst ist ja was falsch“, fasst er zusammen und befürchtet: „Mit diesen Richtlinien ‚leistbares Wohnen‘ zu schaffen, wird nicht möglich sein.“