Sparsam im Kreislauf
Die Verfügbarkeit von Ressourcen beschäftigt das Bauwesen schon lang, noch vergleichsweise jung sind dagegen Projekte, die neue Wege der Stoffkreisläufe und Rohstoff-Reduktionspotenziale aufzeigen. Hier zwei Beispiele aus dem benachbarten Ausland.
Eine digital gefertigte Treppe, die sich in den zweiten Stock windet. Eine hauchdünne, perforierte Betondecke, die den Schall absorbiert. Boden- und Wandmaterialien aus rezyklierten Abfallstoffen. Das neueste Gebäudemodul im Forschungs- und Innovationsgebäude Nest an der Empa in Dübendorf ist ein Leuchtturm für materialsparende und energieeffiziente Bautechnologien. Die „Step2“-Unit wurde Ende August 2024 offiziell eröffnet.
Step2: material- und energiesparend
Das zweistöckige Gebäudemodul vereint eine Reihe von Innovationen, die allesamt zum Ziel haben, den Material- und Energieverbrauch zu senken und einen kreislaufgerechten Umgang mit unseren Ressourcen zu fördern. „Gleichzeitig ist es uns ein großes Anliegen, dass wir Lösungen entwickeln, die marktfähig sind und in der Baubranche tatsächlich eine Zukunft haben“, sagt Enrico Marchesi, Innovation Manager im Nest. Im Dreiergespann mit dem Hauptpartner BASF und dem Architekturbüro ROK hat das Nest-Team der Empa deshalb jede Idee genauestens auf Marktrelevanz überprüft und mit den weiteren Partnern reale „Business Cases“ entwickelt. „Für uns als Hauptpartner dient die ‚Step2‘-Unit dazu, das breite Chemie-Know-how von BASF in Zusammenarbeit mit den anderen Partnern in konkrete, neue und nachhaltige Lösungen für den Bausektor einfliessen zu lassen“, sagt Olivier Enger, Senior Innovation Manager bei BASF.
Das Team verfolgte von Anfang an einen – für ein Bauprojekt eher unüblichen – Co-Creation-Ansatz. „In der Praxis eines solchen Bauprojekts erfordert das engste Zusammenarbeit aller Beteiligten von der Konzeption bis zur Umsetzung“, sagt Architekt Silvan Oesterle von ROK. Bereits vor der ersten Skizze saßen alle relevanten Akteur:innen an einem Tisch und diskutierten mit. „Nur so konnten wir sicherstellen, dass wir bei der Integration von neuen Technologien ins Bauprojekt alle wichtigen Aspekte berücksichtigen“, erklärt Oesterle und nennt dieses Konzept „integrierte Architekturentwicklung“. Resultat dieses Vorgehens sind funktional und ästhetisch einzigartige Bauinnovationen, die nun in der neuen Nest-Unit „Step2“ zu finden sind.
Multifunktionale Geschoßdecke
Beim Betreten von „Step2“ sticht zuallererst die Decke ins Auge. Als Rippen-Filigrandecke konzipiert, erlaubt sie Spannweiten von bis zu 14 Metern und eignet sich damit besonders für den Büro- und Hochhäuserbau. Entwickelt wurde die Decke vom Architekturbüro ROK zusammen mit dem Ingenieurbüro WaltGalmarini und Stahlton. Mithilfe von eigens entwickelten digitalen Planungsmethoden und 3D-gedruckten Schalungen für die vorgefertigten Elemente konnten sowohl der Materialaufwand wie auch die CO2-Emissionen verglichen mit einer Beton-Flachdecke derselben Spannweite um rund 40% gesenkt werden. Neben ihrer strukturellen Funktion übernimmt die Decke zusätzlich weitere Aufgaben: Integrierte, 3D-gedruckte Boxen, die mit einem Tonschaum zur Schallisolation gefüllt sind, sorgen für eine angenehme Raumakustik, trotz schallharter Oberfläche. Außerdem dient die Decke als thermische Speichermasse, wirkt damit ausgleichend auf die Raumtemperatur und ist ein wichtiger Bestandteil des Energiekonzepts der Unit.
Digital gefertigte Betontreppe
Ins zweite Stockwerk der Unit gelangt man über eine geschwungene Betontreppe mit dem klingenden Namen „Cadenza“, die das symbolische Rückgrat des Gebäudes darstellt. Die 17 Treppenstufen wurden mit einer einzigen wiederverwendbaren 3D-gedruckten Schalung gefertigt, die eine komplexe und äußerst materialreduzierte Form erlaubt. Die Vorspanntechnik des Empa-Spin-offs re-fer, die auf einer Formgedächtnislegierung basiert, fixierte die aufeinandergefädelten Stufen. In die Realisierung des auffälligen Bauteils floss zudem die Expertise der Forward AM und New Digital Craft im Bereich Material und 3D-Druck der Schalung, sowie des Betonfertigteile-Herstellers SW Umwelttechnik und des Ingenieurbüros WaltGalmarini ein. Gemeinsam haben sie eine einsatzreife Lösung für individuelle Bauvorhaben entwickelt, die sich nicht nur für massgeschneiderte Betontreppen eignet, sondern generell aufgrund der digitalen Planung und Fertigung zu effizienten und leistungsstarken Designlösungen beiträgt. „Die Treppe nutzt das volle Potenzial von computergestütztem Design und 3D-Druck für Schalungen“, erläutert Klaus Einfalt, Vorstandsmitglied der SW Umwelttechnik. „Dieses Projekt veranschaulicht eindrucksvoll, was in der Nutzung von ultrahochfestem Beton technisch möglich ist. Unser Ziel ist es, aus diesen Erkenntnissen wirtschaftliche und nachhaltige Lösungen für unsere Produktionsprozesse abzuleiten.“ Noch ist es aber nicht soweit: „Die hochmoderne Treppe wird aktuell aus Kostengründen nur auf Anfrage produziert. Unser Ziel ist es aber, aus dem technisch Machbaren in Zukunft auch ein wirtschaftliches und leistbares Produkt abzuleiten und zur Serienreife zu bringen“, so Einfalt weiter.
Ganzheitliches Energiekonzept und adaptive Fassade
Die weiteren Innovationsbereiche der „Step2“-Unit betreffen das Energiemanagement und die Gebäudehülle. Das Ingenieurbüro WaltGalmarini hat für die Unit ein umfassendes Energie- und Behaglichkeitskonzept entwickelt. Die Fassade ist das zentrale Element, wenn es darum geht, das Raumklima zu optimieren und gleichzeitig die Energieeffizienz des Gebäudes zu steigern. Zum Einsatz kommt eine von Aepli Metallbau neu entwickelte Doppelhautfassade mit integrierter Beschattung und kontrollierter natürlicher Lüftung. Die Fassade ist selbst eine Versuchs- und Entwicklungsplattform: Mit wenig Aufwand können in den kommenden Jahren einzelne Module ausgewechselt und dadurch neue Technologien verbaut werden. In einer ersten Phase kommt etwa ein Fensterelement von New Digital Craft mit integrierter, 3D-gedruckter Struktur zum Einsatz, die eine dem Sonnenverlauf angepasste Beschattung liefert. Dafür brachte BASF im Bereich der digitalen Produktionstechnologien innovative 3D-Druckmaterialien ein, die zudem auch für den Druck der Treppenschalung verwendet wurden.
Wiederverwerten statt entsorgen
Nach den Prinzipien des Upcyclings hat BASF gemeinsam mit Partnern Verfahren und Materialien entwickelt, um aus Abfallstoffen leistungsfähige Oberflächenbeläge zu schaffen. Die Kombination bestehender Verarbeitungstechnologien mit neuer Bindemitteltechnologie und (Rest-)Rohstoffen erlaubt es, Holzfaserplatten wie auch Textilreststoff und Kaffeesatz durch thermoplastische Verformung dreidimensional zu gestalten. Damit wurden individuell geformte Wandpaneele für die Unit gefertigt. Die Wandpaneele wie auch die Bodenplatten wurden aus Reststoffen von rezyklierten Denim-Fasern, gebrauchten Pappbechern und Kaffeesatz mit Hilfe eines innovativen Bindemittels und leistungsstarken Beschichtungen hergestellt. Für den Küchenbereich wurde ebenfalls in bekannten Verfahren ein neues Bindemittel eingesetzt, um mit Kaffeesatz langlebige, hochwertige Möbeloberflächen herzustellen. Die Verwendung dieser sonst ungenutzten, erneuerbaren Materialien reduziert nicht nur die Nachfrage nach neuen Rohstoffen, sondern auch den Ausstoß von Treibhausgasen. Für den Ausgleich sowie die thermische und akustische Isolation des Unterbodens, einer Hohlboden-Konstruktion, wurden zum ersten Mal ein spritzbarer, nichtbrennbarer Tonschaum zum Einsatz gebracht.
Das Haus aus recycelten Materialien
Nicht nur einzelne Bauteile, sondern ein Musterhaus aus recycelten Baustoffen plant unterdessen die TH Köln. Im Projekt „ÖMoBau“ sollen zuerst wiederverwendbare, modulare Bauteile, die vollständig aus recycelten mineralischen Reststoffen und Bauabfällen bestehen entwickelt werden und später mit den neuen Materialien ein Musterhaus gebaut werden.
„Der enorme Ressourcenbedarf und die hohen Umweltauswirkungen des Bausektors, die weltweit weiter zunehmen, erfordern dringend nachhaltige Lösungen. Zwar liegt die Recyclingquote von Bau- und Abbruchabfällen bei bis zu 90 Prozent, das aufbereitete Material wird aber oft nur für Anwendungen auf niedrigerer Qualitätsstufe wie zum Beispiel im Tief- und Straßenbau eingesetzt“, erklärt Björn Siebert vom Institut für Baustoffe, Geotechnik, Verkehr und Wasser der TH Köln.
„Eine höherwertige Aufbereitung und Verwertung ist zu aufwändig und zu teuer. Besonders feiner Bauschutt unter zwei Millimeter Korngröße landet immer noch zu einem großen Anteil auf Deponien und bleibt so ungenutzt“, sagt Siebert. Er und sein Team möchten das ändern und verschiedene Rezepturen für verarbeitbare Mörtel entwickeln. Aus den Mörtelmischungen werden Probekörper produziert und diese auf ihre Festigkeit untersucht. Nach erfolgreichen Tests sollen Bauteile entstehen, die sowohl rückbaufähig als auch wiederverwendbar sind. Auf Basis der neu entwickelten Baustoffe werden Bauteile wie Wände, Decken und Stürze am Computer simuliert und anschließend vom Projektpartner Polycare gefertigt.
Kreislauffähiges Musterhaus soll aus recycelten Baustoffen bestehen
Zum Abschluss des Projekts soll ein Musterhaus auf dem Campus errichtet werden. Dabei will man möglichst viele der im Projekt entwickelten neuen Bauelemente verwenden. „Unser Ziel ist es, Ressourceneffizienz nicht nur durch die Verwendung von Sekundärrohstoffen bei der Herstellung von Bauelementen zu erreichen, sondern auch die Lebensdauer der Produkte durch intelligentes Design und ein Bauprinzip ohne Verkleben zu verlängern. So können sie mehrfach wiederverwendet werden. Langfristig soll jedes unserer Produkte einen Materialpass mit Angaben zur Ökobilanz erhalten“, sagt Robert Rösler, CTO der Polycare Research Technology GmbH.