Wissenschafter fordern Kurswechsel im Gebäudesektor
Eine neue deutsche Initiative fordert Fokus auf Reduktion der Treibhausgase, kostspielige Sanierungstiefen der Gebäudehülle sollen unterlassen werden. Ein Heizwärmebedarf von 75 kWh/m2/a sei akzeptabel.
Führende Wissenschaftler aus den Bereichen Architektur und Ingenieurwesen haben kürzlich in Berlin ihr Manifest für eine nachhaltige, kosteneffiziente und sozial verträgliche Klimapolitik im Gebäudesektor vorgestellt. Darin kritisieren sie die seit vielen Jahren übliche Fokussierung auf immer höhere Energieeffizienzstandards und fordern einen politischen Richtungswechsel. „Die historisch gewachsene, alleinige Fokussierung auf Energieeinsparung im Gebäudesektor ist gescheitert. Nur ein Paradigmenwechsel im Klimaschutz bei Gebäuden auf einen Praxispfad, der die Reduzierung von Treibhausgasemissionen ins Zentrum unseres Handelns rückt, ist finanzierbar, stellt die Erreichung der Klimaschutzziele sicher und gewährleistet bezahlbares Wohnen“, so die Autor:innen. Das Manifest ist Gründungsdokument der „Initiative Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor“.
Die Initiative definiert fünf Kernpunkte für klimapolitisches Handeln. Demnach soll die Wärmeversorgung möglichst schnell auf emissionsfreie Energieträger umgestellt und von kostspieligen Sanierungstiefen der Gebäudehülle (Heizwärmebedarf unter 75 kWh/(m2a)) Abstand genommen werden, so die Initiative.
Strategie im Gebäudesektor gescheitert
Im Manifest fordern die Wissenschaftler, dass ein stärkerer Fokus auf CO2-Reduktion – und nicht allein auf Energieeinsparung – das Ziel der Klimaneutralität bei gleichzeitig bezahlbarem Wohnen erreichbar machen kann. „Mit unserem Praxispfad CO2-Reduktion senken wir die im Vergleich zum heutigen Szenario benötigten Fördermittel um fast zwei Drittel, von jährlich 50 auf 18 Milliarden Euro. Damit zeichnen wir ein realistisches Szenario für die Erreichung der Klimaziele im Gebäudesektor, weil mit unserem Weg die knappen Ressourcen im Finanzbereich, aber auch im Bausektor sinnvoller eingesetzt werden“, sagt Manfred Norbert Fisch, einer der fünf Gründer der Initiative. Neben ihm sind Elisabeth Endres, Dirk Hebel, Dietmar Walberg und Werner Sobek im Gründungskomitee vertreten.
Die fünf Kernforderungen der Wissenschaftler
Emissionsfreie Wärmeversorgung: Fossile Energieträger müssen zügig durch emissionsarme Technologien wie Wärmepumpen und die Nutzung industrieller Abwärme ersetzt werden. Der Ausbau erneuerbarer Energien auf Quartiersebene wird hierbei priorisiert wie bilanzielle Ansätze auf der Ebene von Gebäudeflotten und Quartieren im Allgemeinen und hier insbesondere die gebäudeübergreifende bilanzierbare Nutzung von Solarenergie.
Maßvolle Sanierung: Statt kostspieliger überzogener Sanierungstiefen fordern die Experten eine Sanierung, die sich an der Lebensdauer der Bauteile orientiert und unnötige Kosten vermeidet.
Effiziente Wärmepumpen-Nutzung: Moderne Wärmepumpen sind bereits für teilsanierte oder moderat sanierte Gebäude geeignet, was den Sanierungsdruck mindert und trotzdem eine klimaschonende Wärmeversorgung ermöglicht.
Einführung eines Emissionsminderungspfads: Statt unübersichtlicher Regelungen plädieren die Wissenschaftler für einen verbindlichen Emissionsminderungspfad bis 2045, der klare Reduktionsziele für Gebäudeemissionen setzt und überwacht wird.
Förderung von Bestandserhalt und Kreislaufwirtschaft: Neubauten sollen strengen Emissionsgrenzen entsprechen, während der Erhalt bestehender Gebäude die Nutzung grauer Energie maximiert und Abfall reduziert.
Die Reaktion auf das Manifest folgte prompt
Thomas Drinkuth, Leiter der Branchenvertretung „Repräsentanz Transparente Gebäudehülle“ RTG zeigt sich irritiert: „Ein zukunftsfähiges Gebäude hat eine ausreichend energieeffiziente und vor Hitze schützende Hülle und heizt mit erneuerbaren Energien. Wer einseitig auf den Heizungstausch setzen will, biegt falsch ab.“