Weltpremiere in Stuttgart
In Stuttgart-Vaihingen entsteht derzeit das weltweit erste adaptive Hochhaus. Im Original-Maßstab soll untersucht werden, wie sich Gebäude aktiv an wechselnde Umwelteinflüsse anpassen können.
Auf dem Campus Vaihingen der Universität Stuttgart fand Ende Oktober mit zahlreichen Prominenten der Spatenstich für das „erste adaptive Hochhaus der Welt“ statt, wie es seine Urheber nennen. Hinter dem Projekt stehen die Leiter des Sonderforschungsbereiches „Adaptive Hüllen und Strukturen für die gebaute Umwelt von morgen“ an der Universität Stuttgart. Das sind die Professoren Werner Sobek (Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren) und Oliver Sawodny (Institut für Systemdynamik). Die Forscher wollen an diesem Objekt untersuchen, wie sich Gebäude aktiv an wechselnde Umwelteinflüsse anpassen können.
Das Projekt sieht einen „Demonstrator“ mit zwölf Geschossen und einer Grundfläche von 5 Meter mal 5 Meter vor. Direkt daneben entsteht ein ebenfalls 36,5 Meter hoher Treppenturm, welcher der Erschließung dient und sämtliche Versorgungsleitungen enthält. Die Realisierung geht zügig voran, wie Projektleiterin Stefanie Weidner gegenüber Building Times erläutert: „Die Fertigstellung der Experimentalplattform aus Beton, auf der der Demonstrator errichtet werden wird, ist für Mitte März terminiert. Seit Ende 2018 haben wir zudem auf unserem Gelände einen Ausschnitt des Demonstratortragwerks im Maßstab 1:1 errichtet. Dieser Rahmen misst 5 m in der Breite und 9 m in der Höhe und soll dazu dienen, vorab unsere Simulationen zu validieren und die Funktionalität überprüfen zu können.“ Während das Tragwerk des „Demonstrators“ aus Stahl gebaut wird und bis Jahresmitte fertig sein soll, werden die Decken aus Holz gebaut. Die Fundamente werden allesamt aus Beton gefertigt. Die Einzigartigkeit dieses Hochhauses besteht laut den Initiatoren darin, dass aktive Elemente in die Tragstruktur integriert werden. „Ein Zusammenspiel von Sensorik und Aktorik ermöglicht es, beispielsweise die durch Windkräfte auftretenden Schwingungen im Turm durch ein intelligentes Regelungskonzept auszugleichen. Sensoren erfassen dabei auftretende Verformungen, während Hydraulikaktoren im Tragwerk dafür sorgen, dass die Schwingungen durch Gegenkräfte gezielt gedämpft werden – so kann deutlich leichter gebaut werden, als dies ohne Adaptivität möglich wäre“, heißt es in der Projektbeschreibung.
Der deutsche Paradeingenieur Werner Sobek ist übrigens überzeugt davon, dass mit diesem Projekt „unsere weltweite Spitzenposition im Leichtbau nicht nur gehalten, sondern weiter ausgebaut wird.“ Es geht also um Materialreduktion durch Technik. Eine wesentliche Rolle spielen dabei die so genannten „Hydraulikaktoren“. „Diese Hydraulikzylinder sind vergleichbar mit solchen, wie sie zum Beispiel an Baggerschaufeln zu finden sind. Sie wurden uns von der Firma Liebherr zur Verfügung gestellt, welche Hydraulik für den Maschinenbau herstellt“, erläutert Projektleiterin Stefanie Weidner. Wieviel Materialeinsparung durch das „leichter Bauen“ erreicht werden kann, steht naturgemäß noch nicht fest, aber Projektleiterin Weidner gibt doch einen interessanten Hinweis: „Das ist pauschal so nicht zu sagen, da es sehr stark von den Randbedingungen und Tragstrukturen abhängt. Bei dem vorangegangenen Forschungsprojekt zu einer adaptiven Holzschale konnte aber beispielsweise eine Einsparung von bis zu 70 Prozent erreicht werden.“
Dazu muss man wissen, dass die Fassade des Gebäudes vom Start weg aus einer einlagigen, rezyklierten Membrane besteht, die nach und nach durch solche Hüllelemente ausgetauscht werden soll, „die den Licht- und Energieeintrag in das Gebäude, den Luftaustausch sowie den Wärmedurchgang aktiv beeinflussen können. Ziel ist die Realisierung eines maximalen Nutzerkomforts bei minimalem Energieaufwand“, so die Initiatoren des Forschungsprojektes.
Geplant sind unter anderem eine Glasfassade mit Flüssigkeitskristallen, die den Lichtdurchgang regulieren. Weiters sind Holz- und Kunststoffelemente für die Fassade und eine textile Fassade mit einem Mehrlagensystem geplant. Und getestet werden sollen auch Fassaden mit adaptiven Schalldämm-Eigenschaften, die auf unterschiedliche Lärmpegel reagieren.
Natürlich soll das Projekt auch Aufschluss über die Brauchbarkeit der Materialien und Anwendungen geben. Durch „Fallstudien, Simulationen und Pro- bandentests“ soll der Nutzerkomfort ermittelt werden, wie Weidner erklärt, während eine Erdbebensituation – eine wesentliche Frage bei Hochhäusern, weshalb auch der Holzbau in Japan einen Boom erlebt – derzeit nicht simuliert wird. „Vorerst beschränken sich unsere Tests auf dynamische Windlasten“, sagt die Projektleiterin, die auch gleich festhält, dass sich das Gebäude während der Laufzeit des Projektes bis Ende 2020 unzählige Male verändern dürfte. Im Bedarfsfall könnte die Forschung übrigens bis 2028 verlängert werden. „Um für künftige Forschungsprojekte ein möglichst breites Spektrum abdecken zu können, sind sowohl die Tragstruktur als auch die Fassade als Ganzes oder in Teilen austauschbar.“ Nach dem Ende des Projektes, das aber noch nicht absehbar ist, weil der „Demonstrator“ ja noch nicht einmal steht, soll dieser in seine Einzelteile zerlegt und auseinander sortiert werden. Die Gesamtbaukosten des Projektes betragen zwei Millionen Euro, von denen die Universität Stuttgart 1,333 Millionen Euro selbst trägt.