Vernetzte Sicherheit
Alarm-, Video- und Zutrittslösungen verschmelzen zunehmend zu Gesamtsystemen. Die rasch steigende Digitalisierung, Smart Homes und flexible Zugangssysteme sorgen für Bewegung am Sicherheitsmarkt.
Bad news are good news. Das gilt öfters auch für die Sicherheitsbranche. Terror und die Migrationswelle schürten in den letzten Jahren Ängste, die verstärkt zur Anschaffung
von Sicherheitssystemen führten. Diese Effekte flachen seit einiger Zeit jedoch wieder deutlich ab. Dafür sind an sich erfreuliche Nachrichten mitverantwortlich. So haben in den letzten Jahren die Wohnraumeinbrüche deutlich abgenommen. Gab es in Österreich 2014 noch 17.110 Einbrüche, waren es 2017 nur mehr 11.802. Eine bessere Polizeiarbeit sowie wirtschaftliche und soziale Faktoren sind hierfür ebenso verantwortlich wie das Wissen bei den Einbrechern, dass die Häuser heute besser geschützt sind.
Vor allem für die Hersteller von Sicherheitszylindern bedeutete dies aber weniger Nachfrage. Während sie in Österreich 2015 und 2016 noch über drei Prozent Umsatzwachstum erzielen konnten, stieg laut dem Marktanalysten Branchenradar der Umsatz im Vorjahr nur noch um 0,7 Prozent auf 47,1 Millionen Euro. Besonders das Geschäft mit dem Austausch alter Zylinder brach in Westösterreich und Kärnten stark ein.
Elektronischer Aufschwung
Mit mechanischer Sicherheit lässt sich generell im zunehmend digitalisierten Zeitalter wenig verdienen. Das belegen die Marktzahlen der Sicherheitsbranche. Trotz des schlechten Jahres 2017 legte der Umsatz bei mechatronischen (1,9 Prozent) und elektronischen Systemen (2,9 Prozent) weiterhin leicht zu. Mittlerweile machen die nicht-mechanischen Schließzylinder schon über ein Drittel des Marktes aus. Der Trend geht also generell in Richtung elektronischer Sicherungsanlagen. Dazu zählen Brandmeldeanlagen, Einbruchmeldetechnik, Videoüberwachung, Zutrittskontrollanlagen und Evakuierung/Sprachalarm. Der Markt dazu war in Österreich 2017 samt dem Wartungs- und Servicegeschäft laut VSÖ 432,2 Millionen Euro schwer. Und er bietet offensichtlich noch viel Potenzial: Denn nur rund vier Prozent der Privathaushalte und zwölf Prozent der Gewerbebetriebe verfügen über eine Sicherheitsanlage.
Einen Aufschwung gab es etwa wieder bei den Alarmanlagen. Ein Zuwachs von 4,9 Prozent – nach dem Dämpfer im Jahr 2016, in dem nach dem Boom der Vorjahre nur magere zwei Prozent Umsatzwachstum erzielt wurden – gibt der Branche Hoffnung, dass es nun wieder länger bergauf geht. Neben Anbietern wie ABUS, Atral, Essecca oder Vanderbilt konnte besonders der deutsche Anbieter Telenot stark zulegen, der auch spezielle Pakete fürs Gewerbe anbietet. So bietet etwa das Telenot Interface KNX 400 IP gleich eine Schnittstelle zum Smarthome. Neu ist auch ein eigener Alarmanlagenkonfigurator – die erste App zur Planung zertifizierter Sicherheitstechnik. Der konzipierte Entwurf ist eine Ausgangsbasis für eine fachmännische Sicherheitslösung. „Es gibt Sicherheitslücken, die sind vom Laien oft nicht erkennbar, hier ist dann der Fachmann gefragt“, dämpft Martin Unfried, Niederlassungsleiter von Telenot Österreich, ein Zuviel an Eigeninitiative. Smarte Sicherheitssysteme sollten jedenfalls nach den speziell für Alarmanlagen geforderten Normen (VdS, VSÖ) zertifiziert sein – und zwar alle einzelnen Komponenten. „Nur so kann ein zuverlässiges Zusammenspiel gewährleistet werden. Alarmanlagen müssen 365 Tage im Jahr rund um die Uhr funktionieren“, betont Unfried.
„Neue Systeme ermöglichen Sharing“ – Herbert Maté, Evva
Dank des hohen Bauvolumens erwirtschaftete auch die Brandschutzbranche um 5,5 Prozent mehr Umsatz und die Zutrittssysteme um 4,9 Prozent. Der Markt für Evakuierungsalarme in großen Gebäuden ist laut VSÖ mit einem Umsatzvolumen von 13,3 Millionen Euro erst im Aufbau. Am stärksten legte 2017 aber der Bereich Videoüberwachung mit über sieben Prozent zu. Hier tummeln sich neben den klassischen großen Sicherheitsanbietern zahlreiche kleine Anbieter. Für volle Auftragsbücher sorgte vor allem der gewerbliche Sektor. Unternehmen wollen sich verstärkt gegen Vandalismus, Terrorismus und Sabotage absichern. Die neuen hoch- auflösenden Kameras liefern selbst in der Nacht beste Bildqualität und können dank integrierter Intelligenz verdächtige Vorfälle erkennen und melden, ohne dass Unmengen an Daten in die Überwachungszentralen geschickt werden müssen. Zunehmend übernehmen auch Drohnen die Überwachung von weitläufigen Firmengeländen.
Vernetzte Sicherheit
Neben dem Überholkurs der elektronischen Sicherheit samt Videoüberwachung zeigt sich als zweiter Trend die zunehmende Vernetzung aller Sicherheitsbereiche. Die Vision smarter Gebäude wird langsam Realität. Deshalb wachsen nicht nur die Sicherheitssysteme zu einer zentral gemanagten Lösung zusammen, sondern auch viele Bereiche der Gebäudetechnik. Fixe Bestandteile des vernetzten Gesamtsystems sind auch Smartphones, Tablets und Co. Besonders bei großen Objekten sind integrierte, gesamtheitliche Lösungen gefordert, die nicht nur Zugang, Einbruchschutz und Videoüberwachung betreffen. Hier hält mit Building Information Modeling (BIM) die durchgängige Digitalisierung in die Baubranche Einzug. BIM unterstützt alle Bereiche des Planens, Bauens und Betreibens von Gebäuden als zentrale digitale Plattform. Dank eines kompletten digitalen Modells, quasi dem digitalen Gebäudezwilling, lassen sich alle Komponenten von Sicherheitsanlagen optimal positionieren und auch virtuell in Simulationen testen. Das reicht vom Einbruchsfall bis zur Evakuierung eines Gebäudes. So kann das Zusammenspiel von Gebäude- und Sicherheitstechnik perfektioniert werden.
„Gebäude sprechen mit uns, wir müssen nur richtig zuhören“, gibt Walter Michor, Leiter Marketing Solution und Service Portfolio bei Siemens Österreich Building Technologies, den neuen Slogan von Siemens weiter. Doch bevor Gebäude redselig werden, müssen sie genau studiert werden. Erst wenn alle sicherheitsrelevanten Daten, Energieflüsse und einiges mehr erfasst ist, kann ein Objekt samt den Sicherheitsbedürfnissen optimiert werden. Siemens entwickelt dazu intelligente, völlig integrierte Sicherheitslösungen auf Basis von Siveillance und Desigo, die eine enge Integration mit vorhandenen Gebäudeautomatisationssystemen ermöglichen. Wenn Gebäude weitgehend als digitales Abbild zur Verfügung stehen, lassen sich rasch per Knopfdruck vorgesehene Maßnahmen vorab simulieren und bewerten. Künftig werden solche Technologien auch als Cloud-Service angeboten werden. So können aus der Erfahrung und den Daten bestehender Gebäude völlig neue Dienstleistungen für die Branche und „Sicherheits-Apps“ für jeden Fall entwickelt werden.
Eher skeptisch wird in der Sicherheitsbranche hingegen der Trend gesehen, dass auf einmal Anbieter von Smart Home-Lösungen gleich auch mehr oder weniger sichere Sicherheitslösungen mit anbieten. Der VSÖ kritisiert das in seinem gerade publizierten „Jahrbuch Sicherheit 2018“ ebenso wie die Tatsache, dass in Österreich immer noch in rund einer Million Haus- und Wohnungstüren veraltete Schließzylinder mit den klassischen messingfarbenen Schlüsseln eingesetzt werden. „Die beste Sicherheitstür ist nutzlos, wenn der darin verbaute Schließzylinder leicht zu überwinden ist“, kritisiert Thomas Forstner, Generalsekretär des VSÖ. Zumindest die ÖNORM B 5351 und/oder die DIN 18252 Verschlusssicherheitsklasse 6 und Angriffs- widerstandsklasse D sollten eingehalten werden. Ohne mechanische Sicherheit hilft die ganze „Smartness“ nicht.
Smart Home
Trotzdem kommt man dem Trend Smart Home nicht mehr aus. Der Sicherheitsspezialist Bosch überraschte im Vorjahr auf der IFA mit seinen neuen Smart Home-Lösungen. Die Steuerung erfolgt automatisch oder über den Amazon-Sprachdienst Alexa, die Bosch Smart Home App sowie den neuen Universalschalter. Auch die 360 Grad-Innenkamera und die Eyes-Außenkamera sind nun über Amazon Alexa steuerbar und in das Bosch Smart Home-System integrierbar. Im Notfall alarmiert der Premium-Rauchwarnmelder mit dem neuen Luftgütesensor Twinguard dann auch gleich den Nachbarn oder vorgemerkte Freunde. Im Smart Home sind freilich auch die Lichtschalter und Rollläden mit der Alarmanlage gekoppelt. Im Brandfall öffnen sich sofort die Rollläden, im Einbruchsfall werden alle Lichter eingeschaltet.
Da auf den boomenden Markt rund um Smart Home und Alarmanlagen laut VSÖ auch Firmen mit fragwürdigen „Sicherheitsprodukten“ aufspringen, die „steckdosenfertige Wunderkisten“ und EDV-Anstecklösungen anbieten, sollte man laut Forstner genau prüfen, ob die in Österreich geltenden Vorgaben zur Planung und Errichtung von Sicherheitsanlagen auch eingehalten werden. Konkret geht es um die OVE-Richtlinien R2 für Alarmanlagen, R9 für Videoüberwachung und R10 für Zutrittskontrollsysteme. Gerade im Sicherheitsbereich sollten nur zertifizierte Produkte eingesetzt werden – darauf legen auch die Versicherungen wert. Eine Liste aller vom VSÖ geprüften Produkte findet sich unter www.vsoe.at/produktsuche.
Ab in die Wolke
Die zunehmende Vernetzung der Systeme erfordert naturgemäß eine zentrale Steuerungsmöglichkeit. Deswegen drängen die meisten Anbieter von Zutrittslösungen auch in die Cloud. EVVA, europaweit einer der führenden Hersteller von Zutrittslösungen, bietet schon länger sein AirKey-System an. Dabei wird nicht nur das Smartphone zum Schlüssel, sondern es lassen sich damit auch temporäre Zutrittsberechtigungen sehr einfach und flexibel mittels SMS vergeben. Das bietet höchstmögliche Flexibilität und neue „Sharing-Möglichkeiten“. Laut Herbert Maté, Abteilungsleiter Business Solution Management bei EVVA, werden diese in neuen Geschäftsmodellen wie etwa beim Zimmervermittler Airbnb, in der Hotellerie oder im Coworking schon genutzt. „Das System eignet sich auch bestens, um den Zutritt bei Unternehmen mit verteilten Standorten zu managen“, erklärt Maté. Auch externen Dienstleistern – von der Reinigungskraft bis zum Servicetechniker – kann so der Zugang einfach ermöglicht und zugleich die Zutrittsdauer bei Bedarf ausgelesen werden. Damit erhält man auch gleich eine Bestätigung, ob und wie lange eine Arbeit ausgeführt wurde. Auch Streitigkeiten beispielsweise im Bereich „Betreutes Wohnen“, in denen es etwa nach einem Spitalsaufenthalt der Betreuten darum geht, ob in der Wohnung wirklich etwas verschwunden ist oder nicht, lassen sich dank genau definierter Zugangszeiten und Zutrittsdauer besser lösen. Die klugen Systeme können zugleich zur Zeiterfassung genützt werden.
An diesen neuen elektronischen Zutrittslösungen, die über die Cloud gemanagt werden und zahlreiche Zusatzfeatures bieten, arbeiten mittlerweile fast alle Hersteller. ABUS bietet etwa die Zutrittslösung wAppLoxx, mit der bis zu 20 Zylinder und 150 Benutzer verwaltet werden können. Die Lösung lässt sich mit Alarmanlagen und der Videoüberwachung zu einem Sicherheitssystem vernetzen. Bei Dorma Kaba regelt die Cloud-Technologie Legic Connect die gesamte Palette an RFID- und BLE-Zutrittslösungen auch über Smartphones oder Smartwatches.
„Digitalität verlangt Flexibilität“
– Wilfried Hirmann, Geschäftsführer Essecca
Auf diesen Markt drängen auch viele Newcomer mit branchenspezifischen Apps. Das österreichische Unternehmen Tapkey hat etwa eine Lösung, mit der sich für Facility-Management-Firmen verschiedene elektronische Zutrittslösungen integrieren lassen. Aber auch Urgesteine wie Salto Systems, die 2008 die erste per Funk vernetzte elektronische Schließlösung auf den Markt brachten, bieten nun zahlreiche auf Branchen abgestimmte Lösungen. Die neue JustIN mSVN Technologie etwa ermöglicht die Aktualisierung von Zutrittsrechten über Smartphones. Über die mSVN App können mit dem Handy sogar Berechtigungen mittels NFC (Near Field Communications) auf ID-Karten aktualisiert werden. Exklusiver Herstellervertreter von Salto Systems in Österreich ist die seit 2013 vom Hersteller EVVA unabhängige ESSECCA GmbH. Sie bietet als unabhängiger Systemintegrator Lösungen für Alarm, Video und Zutritt als Gesamtsystem von der Planung bis zur Wartung an.
„Das Leben in der digitalen Welt verlangt mehr Flexibilität und Mobilität“, betont Wilfried Hirmann, ESSECCA-Geschäftsführer. Da gehen gerade im Bereich von elektronischen Zutrittssystemen die Anwendungen schon weit über das einfache Öffnen einer Türe hinaus. „Der Zugang verändert die Funktion des Raums – der Raum ist ein anderer, wenn er betreten wird“, erklärt Hirmann. Es werden nämlich zugleich zahlreiche automatisierte Abläufe je nach Berechtigungsstufe gestartet. Es können etwa Alarmsysteme, Raummanagementsysteme oder auch smarte Systeme benutzerspezifisch gekoppelt werden. Dahinter steht ein zentrales Managementsystem, das von einer Handy-App bis zu einem Leitstand einer Sicherheitszentrale reichen kann.
Diese neue digitale Welt bietet viele Vorteile: So können beispielsweise Business-Reisende rund um die Uhr in Hotels einchecken. Eine Rezeption ist dazu nicht mehr notwendig. Oder Serviceteams bekommen bei einem akuten Gebrechen einer abgelegenen Anlage einfach per Knopfdruck einen zeitlichen Zugang. Auf eines darf bei diesen zentral gesteuerten, oft über die Cloud gemanagten Sicherheitslösungen nicht vergessen werden: höchste Sicherheit gegen Cyberkriminelle.