Der Gemeinschafts-Boom
Energiegemeinschaften erleben derzeit einen wahren Boom – mehr als 1.000 gibt es in Österreich bereits. Was häufig klein beginnt, wird oft rasch größer.
Energiegemeinschaften erleben derzeit in Österreich einen wahren Boom – mehr als 1.000 gibt es bereits, fast 50 davon in Wien. In Oberösterreich sind bislang gleich mehr als 300 EEGs registriert. Wobei man unter „Erneuerbare Energiegemeinschaft“ (EEG) und „Bürgerenergiegemeinschaft“ (BEG) unterscheidet, wie das die Koordinationsstelle für Energiegemeinschaften tut. Dazu kommen noch „Gemeinschaftliche Erzeugungsanlagen“ (GEA).
Es braucht immer mindestens zwei Parteien für die Gründung einer Energiegemeinschaft, das können sowohl Private als auch Unternehmen oder auch ganze Gemeinden sein. Während EEGs erneuerbaren Strom und Wärme austauschen, finanzielle Vergünstigungen bei Netzentgelten und Abgaben bieten und räumlich begrenzt sind, beschränken sich BEGs auf Strom, bieten keine finanziellen Vergünstigungen, sind aber räumlich unbegrenzt.
Erst nur für zwei Familien
Häufig beginnen sie klein, werden aber oft rasch größer, wie das Beispiel Sisi-Strom zeigt: „Als die Strompreise durch die Decke gegangen sind, haben wir uns gesagt, wir müssen etwas tun, denn Photovoltaik-Anlagen sind in der Stadt ja schwierig“, erklären Anna Schörnig und Jelena Fresacher die beiden Sisi-Gründerinnen, im Gespräch mit Building Times. „Wir wollten zuerst nur für unsere beiden Familien etwas tun, mit einem Einspeiser vom Land. Dann sind wir zur Servicestelle Urban Innovation gegangen, wo wir sehr gut beraten wurden, haben uns einen Profi geholt und sind mit Jahresanfang mit 25 Mitgliedern gestartet. Nach einem sechswöchigen Probelauf sind wir seit Mitte März für alle offen“, berichten die beiden Gründerinnen. „Wir versuchen, in Balance zu wachsen“.
Sisi-Strom wird bekannt
Nachdem „Der Standard“ Mitte März über Energiegemeinschaften im allgemeinen sowie Schörnig und Fresacher im besonderen berichtet hatte, „haben sich sehr viele gemeldet, die wir gerade abarbeiten“. Dass Energiegemeinschaften sehr interessant für Vereine seien, fügt Fresacher ergänzend an.
Was hat Sisi zu bieten: Nun, für Kund:innen einmal „100 Prozent Strom aus Österreich zum Arbeitspreis von 16,5 Cent pro Kilowattstunde zuzüglich USt.“. Dann einen Fixpreis für ein Jahr und keine Grundgebühr im ersten Jahr, eine einmalige Vereinsaufnahmegebühr von 75 Euro, günstigeren Strom ohne Anbieterwechsel und schließlich „kein Risiko“. Voraussetzung sei lediglich das Vorhandensein eines Smart Meters und die Anlage eines Zählpunktes, der an den Netzbetreiber meldet.
„Erzähle deiner Mutter…“
Strom-Anbietern, die an Sisi liefern wollen, davon 15 Prozent über die OeMAG (Abwicklungsstelle für Ökostrom) werden geboten: „Attraktiver Einspeisetarif, keine Grundgebühr im ersten Jahr, die einmalige Vereinsaufnahmegebühr (75 Euro), höhere Erträge ohne Vertragswechsel und kein Risiko“. Schließlich „werden Dir für jedes neue Mitglied, das du zu Sisi bringst, einmalig 50,- gutgeschrieben. Erzähle deiner Mutter, deinen Brüdern, Cousinen, Großcousins, Tanten und Opas, dem Rest deiner Familie und deinem ganzen Freundeskreis von Sisi. Lade sie ein und lass sie ebenfalls von Sisi profitieren“. Derzeit seien sie eine Non-Profit-Organisation, stellen die beiden Gründerinnen fest, die sich über die Mitgliedsbeiträge finanziere. Befragt nach einer Entwicklungsprognose, meinen sie: „Wir wollen gerne 100 Mitglieder im zweiten Quartal des Jahres haben“.
Nicht nur der explodierenden Strompreise wegen sind die beiden Wienerinnen auf Sisi gekommen: Fresacher kommt aus der Immobilienwirtschaft, „in der es derzeit nicht so toll läuft, und baue mir ein neues Standbein auf“, während Schörnig „ursprünglich aus dem Bereich des Qualitäts-Managements“ kommt. Beide haben Wirtschaft studiert, beide haben Kinder und Familien und wollen jetzt, „wo die Kinder größer sind, etwas Neues machen“.
„Gegen den Strom: Barrieren abbauen“
Energiegemeinschaften sind neuerdings auch Subjekte/Objekte der wissenschaftlichen Betrachtung: „Tatsächlich ist der Weg für Erneuerbare Energiegemeinschaften steinig“, stellen jedenfalls die Rechtsprofessorin Brigitta Lurger und die Psychologieprofessorin Katja Corcoran von der Universität Graz in einer jüngsten Arbeit fest. Sie haben im Rahmen des Horizon-Projektes der EU „EC² – Energy Citizenship and Energy Communities for a Clean EnergyTransition“ Vorschläge erarbeitet, wie juristische, sozialpsychologische und ökonomische Barrieren abgebaut werden können.
Gemeinsam mit weiteren Wissenschaftler:innen aus sieben europäischen Ländern wollen sie den nachhaltigen Wandel zu einer nachhaltigen Energieversorgung unterstützen und bestätigen: „Die Energiekrise hat die Dynamik befeuert und das Interesse deutlich gesteigert“. In der von der EU-Politik forcierten Energiewende finde gewissermaßen eine Verschiebung der Verantwortlichkeiten statt: „Denn der/die Einzelne soll nun an das Allgemeinwohl denken“.
Lurger und Corcoran sehen vor allem die lokalen Behörden gefordert: „Sie sollten bei der Koordination, Beratung, aber auch beim kommunalen Wohnbau eine aktivere Rolle einnehmen, einen One-Stop-Shop schaffen, damit wir nicht nur die schon thematisch affine Bevölkerung erreichen“.