Der Vorzeige-Campus

Sie haben sich ein Haus gebaut: Die neue Zentrale von Siemens Building Technologies bzw. Smart Infrastructure in Zug zeigt, wohin die Reise in Sachen Gebäudedigitalisierung samt Open BIM gehen soll.

Zug ist ein idyllisches Schweizer Städtchen mit mittelalterlichem Kern direkt am Zuger See. Wenn das Wetter mitspielt, bietet sich ein prachtvolles Panorama auf die majestätischen Gebirgszüge der Umgebung. Nicht weit von Zürich, hat sich Zug vor allem dank günstiger Unternehmenssteuern zu einem interessanten Standort für High-tech-Unternehmen entwickelt. Besonders auch Siemens nutzte die Chance und siedelte schon 1998 nach einer Firmen übernahme die Zentrale sowie auch Produktionsstätten der Siemens Buildings Technologies Division (BT) in Zug an. Ab April wird hier auch die Zentrale des neuen Siemens-Bereichs Smart Infrastructure mit weltweit rund 71.000 Mitarbeitern angesiedelt. Als Heim der künftigen Sparte dient der neue Siemens Campus Zug, in den in Summe 250 Millionen Schweizer Franken fließen werden.

Die ersten beiden Gebäude wurden nach zwei Jahren Bauzeit im Dezember eröffnet. Das neue Bürogebäude mit LEED Platinum-Zertifizierung bietet auf 18.400 m² Platz für 1.000 Arbeitsplätze, wovon Siemens aktuell 650 nutzt. Ein Teil wird vermietet. Die Schweiz ist aber auch eine wichtige Produktionsstätte für die BT. In der neuen Fabrik, die ebenfalls 18.400 m² Fläche bietet und mit automatischem Transport- und Lagersystem und hocheffizienten Technologien ausgestattet ist, die etwa die Druckluftabwärme nutzen, werden pro Jahr nun etwa die Hälfte aller rund fünf Millionen Brandmelder von Siemens produziert, aber auch Heizungsregler, Ventile und Stellantriebe. Hier wurde eine LEED Gold-Zertifizierung erreicht. 2021 folgt schließlich noch die Renovierung eines bestehenden Büro- und Produktionsgebäudes, das Platz für die rund 450 R&D-Mitarbeiter bieten soll.

BIM und Augmented Reality

Der Siemens Campus Zug ist klarerweise ein Vorzeigeprojekt in Sachen Gebäudetechnik. „Mit dem neuen Gebäude haben wir ein Referenzprojekt für unsere Technologie geschaffen, das in puncto Energieeffizienz, Nachhaltigkeit, Automatisierung und Digitalisierung zeigen soll, was wir können“, sagte Matthias Rebellius, CEO von BT, anlässlich der Eröffnung. Übrigens: Das letzte Geschäftsjahr lief für die BT noch besser als das schon gute Vorjahr. Der Umsatz betrug rund 6,6 Milliarden Euro, der Gewinn lag bei 755 Millionen Euro. Für die neue Zentrale also ein guter Start.

Beim Siemens Campus Zug wurde erstmals auch BIM (Building Information Modeling) schon bei der Planung und in der Implementation eingesetzt, was freilich für alle Gewerke eine gewisse Herausforderung darstellte und Mehrkosten verursachte. „Wir wollten damit diesen Markt auch pushen“, erklärte der Siemens-BIM-Experte Wolfgang Haas. BIM als einzige Datenquelle erlaubt dem FM-Anbieter nun einen effizienten und bedarfsorientierten Betrieb über den ganzen Lebenszyklus. Selbst beim Abbruch des Gebäudes hilft BIM, alle verbauten Materialien ressourcenschonend dem Recycling zuzuführen.

Im Zentrum steht der digitale Zwilling der Gebäude, der nicht nur 3D-Modelle inklusive aller relevanten technischen Informationen bietet. Mittels Augmented Reality kann auch mittels Röntgenblick hinter Decken und Wände geblickt werden, um etwa die Funktionstüchtigkeit von Systemen zu prüfen. Ein Bürogeschoss wurde im Projekt als Virtual Reality Showcase konzipiert, um die Möglichkeiten zu zeigen, wie Design und Kommunikation optimiert werden können.

Zum Einsatz kamen auch einige neue Gebäudeüberwachungs- und -steuerungsysteme, die den Betrieb deutlich effizienter machen und viele neue Dienste, wie etwa eine individualisierte Klimatisierung, ermöglichen. Dabei lernen die Systeme dank Künstlicher Intelligenz, um beispielsweise in Besprechungsräumen für alle anwesenden Personen das ideale Klima mittels hybrider Kühl- und Heizpanele und optimaler Luftversorgung zu bieten. Aber auch die situationsspezifische LED-Beleuchtung und der Sonnenschutz erfolgen automatisch. Die Angestellten können alles mit der Arbeitsplatz-App von Comfy steuern. Siemens hat im Sommer 2018 das Startup Building Robotics übernommen, um deren zentrales Produkt Comfy als eigenes, herstellerneutrales Unternehmen weiterzuführen.

Alles flexibel

Neben immer anpassungsfähigeren Systemen gibt es dem Open Office- und Mobile Working-Trend folgend in der neuen Zentrale auch keine fixen Arbeitsplätze mehr. Dafür bekommen die Businessnomaden aber umfangreiche Unterstützung durch diverse Tools, um etwa ihren idealen Arbeitsplatz und mittels Buchungs- und Anwesenheitsinformationen Kollegen zu finden und Termine zu planen.

Das Raumreservierungssystem ist dazu beispielsweise mit dem Zugangssystem Siport access control und der Gebäudemanagementplattform Desigo CC verbunden. Als alles erfassendes Nervensystem dienen den intelligenten Gebäuden im Büro 6.500 und in der Fabrik 5.500 Datenpunkte. Alle Systeme von der Zutrittskontrolle über den Brandschutz bis zur Energieoptimierung und Nutzungseffzienz sind in einem intelligenten Gebäudekontrollsystem vereint. Hier spielt freilich auch die IoT-Plattform Websphere als zentrale Plattform für alle Industrien eine wichtige Rolle.

Fossile Brennstoffe haben bei diesem Vorzeigeprojekt freilich nichts mehr zu suchen. Am Campus liefert das Seewasser mittels hocheffizienter Wärmepumpen die Wärme und dank direkter Kühlung die Kälte. Die Lüftungsgeräte sind mit Kälte- und Wärmerückgewinnungssystemen ausgestattet. Solarpanele auf begrünten Dächern tragen künftig auch – wenn auch nur gering – zur grünen Stromversorgung bei. In Summe ist der Campus aber CO2-neutral.

Am digitalen Anfang

Die Digitalisierung des Gebäudesektors steht aber erst am Anfang. „Im Vergleich zur Fertigungsindustrie haben wir im Gebäudesektor sicher noch einigen Aufholbedarf“, betont SBT-Chef Rebellius. Um bei der Digitalisierung vorne dabei zu sein, hat Siemens auch im Gebäudebereich einige Übernahmen getätigt. Zuletzt etwa die drei kalifornischen Startups J2 Innovations, Enlighted und Building Robotics. J2 Innovations ist auf das Internet der Dinge und Automatisierungslösungen spezialisiert, Enlighted bietet Sensoren und Building Robotics – nun Comfy – entwickelt Apps.

Ein Schwerpunkt beim zur Eröffnung veranstalteten Presseworkshop war das Thema Open BIM – also die nächste Phase der Digitalisierung, die mittels offener Schnittstellen und Standards vor allem auch die Produktivität in der Bauindustrie deutlich erhöhen soll. Heute erreichen laut Haas 30 Prozent der Bauprojekte nicht die ursprünglich gesetzten Ziele oder überschreiten das geplante Budget. Noch dazu meinten in einer Untersuchung gleich 92 Prozent der Planer, dass bei der Planerstellung nicht alle nötigen Informationen zur Verfügung stehen. Hier kann BIM bzw. Open BIM einiges beitragen. Das gilt auch für Bereiche wie die Vermeidung der beachtlichen Menge an Bauabfällen oder generell die CO2-Einsparung. Wichtig ist zu daran zu erinnern, dass letztlich die Bereiche Bau sowie besonders Operation und Optimierung das größte Einsparungspotenzial im Gebäudelebenszyklus bringen. Die Planungs- und Bauphase macht nur 20 Prozent und die Betriebsphase 80 Prozent der Lebenszykluskosten aus. Entscheidend sind also von Anbeginn konsistente und auch für alle zugängliche Planungs- und Gebäudedaten.

Da sieht die Realität aber noch anders aus. Aktuell ist es schon eine große Herausforderung, die Planungsdaten bei Projekten auszutauschen. Dank Open BIM wird künftig ein Gebäude schon virtuell errichtet sein und somit allen Beteiligten alle wichtigen Daten zur Verfügung stehen, bevor der erste Bagger losrollt. Dabei werden laufend alle Aktivitäten am realen Gebäude mit dem virtuellen Modell abgeglichen. So kann auch rasch der Betrieb an die aktuellen Anforderungen angepasst und optimiert werden. So schön solche interaktiven digitalen Zwillinge auch sind, wirklich funktioniert alles erst, wenn entsprechende Standards zum Datenaustausch bereitstehen. Gefragt sind also dynamische, offene Datenmodelle. Das ist auch ein Grund dafür, dass Siemens selbst viel Geld in die Non-profit-Initiative Open BIM investiert, um der in Sachen Digitalisierung im Vergleich zu anderen Industrien nachhinkenden Bauwirtschaft einen Schub zu geben.