Der Mega(watt)-Schmäh

Der jüngste Stromkennzeichnungsbericht der E-Control weist einen gestiegenen Anteil von Nachweisen aus fossilen Energieträgern aus. Was über den tatsächlichen Strommix überhaupt nichts aussagt. Dennoch gibt es heftige Debatten über die Emissionen, welche die Stromerzeugung verursacht. Was direkt Eingang in die Gebäudetechnik findet.

„Strom hat kein Mascherl“, sagt der Volksmund treffend – in Österreich aber doch! Wenn nämlich auf der Stromrechnung steht: „100 Prozent Ökostrom“, so ist nur eines gewiss – nämlich, dass dem nicht so ist. Das ist deshalb möglich, weil die Stromkennzeichnung und die Stromherkunft nicht deckungsgleich sind. Anders ausgedrückt: Nachweise und physikalische Wirklichkeit sind zwei Paar Schuhe, denn Strom hat ja kein Mascherl. „Leider ermöglicht die derzeitige gesetzliche Regelung eine Kundentäuschung mit der Bezeichnung ‚Ökostrom‘“, erläutert der unabhängige Experte Johannes Fechner, Geschäftsführender Gesellschafter der Wiener Organisationsberatung 17&4. Und das hat Folgen für die Gebäudetechnik, wie die jüngsten, teils sehr heftigen Debatten über die Neufassung der OIB-Richtlinie 6 und die Infrarot-Heizungen gezeigt haben. Denn dabei stellt sich ja die Frage, welche Emissionsbelastungen die Stromerzeugung hervorruft. Letztendlich findet das Ergebnis der Diskussionen seinen Niederschlag auch im Energieausweis. Teilweise nimmt der Diskurs derart absurde Formen an, dass Strom allen Ernstes als „Direktenergie“ bezeichnet wird. Fechner meint dazu, die Lehrmeinung sei, dass sich „Primärenergie“ primär auf das Vorkommen in der Natur beziehe. „Bis auf Blitze oder Hirnströme gibt es da nicht so viel.“ Die OIB-Primärenergiefaktoren berücksichtigen, dass Energie aufgewendet wird, um die Endenergie bereitzustellen.

Im Stromkennzeichnungsbericht der E-Control wird ausgeführt, dass „Norwegen mit etwas mehr als 14 Prozent weiterhin der größte ausländische Lieferant von Nachweisen für die österreichische Stromkennzeichnung bleibt, auch wenn der Anteil gesunken ist.“ Fechner weiß dazu Erhellendes: „Die Situation ist skurril: In Norwegen werden von österreichischen EVUs besonders gerne Herkunftsnachweise gekauft – Erzeugungsmix zu 98 Prozent aus Erneuerbaren und der Preis für ‚Guarantee of Origin‘ mit 0,26 EUR/MWh for Large Nordic Hydro spottbillig. Dass der per Herkunftsnachweis gekennzeichnete Mix für norwegische Kunden überwiegend fossil-nukleare Quellen zeigt, ist den Norwegern egal.“

Eine eigene Meinung zur Stromkennzeichnung hat auch E-Control Vorstand Andreas Eigenbau. Sein Eindruck ist, dass Physik und Kennzeichnung verwechselt werden. „Unsere Stromkennzeichnung ist nicht identisch mit der physikalischen und kann nicht für Gebäudekennzahlen verwendet werden“, stellt er klar und ergänzt: „CO2 sitzt nicht am Produkt, sondern auf der Erzeugungsanlage.“ Wieso es überhaupt zu dieser Kennzeichnung gekommen ist? „Für die Stromwirtschaft wäre ohne sie eine Produkt-Differenzierung nicht möglich gewesen“, meint der E-Control-Chef.

Ganz spezielle Strahlung

Zu den praktischen Auswirkungen hat Johannes Fechner eine deutliche Interpretation: „Die jetzt gegen die OIB RL6 ankämpfenden Herren vertreten ihre Partikularinteressen, es geht ihnen darum, die Direktheizung mit Strom bezüglich des Klimaschutzes besser darzustellen, als sie derzeit ist.“ Es gehe darum, Marktanteile zu gewinnen. „Die Strategie scheint zu sein, die IR-Direktheizung als unvergleichbar mit anderen Heizungen zu positionieren und den Eindruck zu erwecken, es handle sich um eine ganz spezielle Strahlung“, womit die Heizlastberechnung nicht anzuwenden sei, vermutet Fechner. Faktum sei aber, dass auch andere Heizsysteme hohe Strahlungsanteile haben. „Eine Deckenheizung mittels Bauteilaktivierung hat zum Beispiel in der Regel einen höheren Strahlungsanteil. Die hohen Temperaturen von IR-Paneelen schaffen thermische Asymmetrie, die die Vorgaben zur thermischen Behaglichkeit nicht erfüllen“, sagt Fechner. Seine Vermutung ist, dass es den Vertretern der Strahlungsheizung darum geht, „die Bewertung von Strom zu beschönigen“. Am Ende gehe es darum, die „vorhandene Bewertung ohne fundierte Argumente schlechtzureden, damit eine E-Direktheizung die Vorgaben für Heizsysteme in der OIB-RL und damit in den Bauordnungen erfüllen kann“, sieht Fechner die Strategie hinter den derzeitigen Verbal-Stürmen.

Woher der Sturm bläst, ist für Johannes Fechner eindeutig: „Strom wird im Wärmemarkt eine größere Rolle spielen. Was wir da vor allem brauchen, sind hocheffiziente Systeme, wie z. B. Nearly Zero Energy Buildings mit Wärmepumpen mit hohen Jahresarbeitszahlen, gut sanierte Bestandsgebäude und ‚netzdienliche‘ Gebäude, die ihren Strombezug um Stunden oder Tage verschieben können – bis der Wind wieder arbeitet. Die E-Direktheizung kann das alles nicht, dennoch gibt es sinnvolle Einsatzgebiete für speziellen räumlich und zeitlich begrenzten Wärmebedarf, und auch für dezentrale, verlustarme Warmwasserbereitung kann E-direkt eine Option sein.“ Eine wichtige Frage sei daher, so Fechner: „Woher kommt der Strom, wenn die E-Direktheizung tatsächlich groß ausgeweitet wird? Aus weiteren PV-Anlagen im Winter nur sehr, sehr begrenzt und aus Österreich nur zu einem Teil. Da die fossil betriebenen Wärmekraftwerke in Österreich, Deutschland etc. eine Menge freier Kapazitäten haben, und solange CO2 nicht schmerzhaft teuer ist, werden die liefern.“

Schließlich zieht der 17&4-Geschäftsführer ein Resümee: „Fakt ist, dass die Stromerzeugung leider auf absehbare Zeit einen gewaltigen ökologischen Rucksack trägt, und dass die saisonalen Unterschiede sehr wohl relevant sind.“ Es ist sogar noch komplizierter, die Schwankungen sind sogar im Stundenbereich relevant. Eine anschauliche Darstellung der Stromproduktion international bietet übrigens www.electricitymap.org. Daraus lässt sich herauslesen: Am 1. Oktober mit guter Windausbeute lag der heimische Wert bei 251 g CO2/kWh, also meilenweit vom e-control Wert entfernt.