Einer, der auszog …
Das letzte in Österreich fertiggestellte Projekt des bei Paris lebenden und arbeitenden Architekten Dietmar Feichtinger ist das 2019 übergebene Schulzentrum in Gloggnitz. Das könnte sich aber bald ändern, denn derzeit beteiligt sich sein Büro an zwei hiesigen Wettbewerben.
Geboren in Bruck an der Mur, Studium an der TU Graz und dann nicht lange Wien, Linz oder Salzburg. Berühmt geworden ist Dietmar Feichtinger durch Hochbauten und Brücken in Frankreich, Belgien, Dänemark und Deutschland. Ob er frankophil sei, weil er in Frankreich lebe und arbeite, will Building Times im Interview mit Feichtinger wissen. „Nein, bin ich nicht. Meine Frau Barbara – sie ist auch Architektin – und ich wollten aber nach unseren Praxisjahren woanders als in Österreich zeigen, was Architektur kann“, sagt der gut 60-jährige Planer. So hat es sich ergeben, dass er in Montreuil, einer Stadt, die direkt an Paris grenzt, lebt und arbeitet.
„In Frankreich war die Zeit der großen Projekte von Francois Mitterand und die ganze Welt hat nach Frankreich geblickt. Und vorher hat es schon den Architektenwettbewerb für das Centre Pompidou mit 600 Teilnehmern gegeben. Heute eine weltberühmte Kunst- und Kultur-Institution. Hier spielte Architektur als politischer Faktor, als politisches Statement eine große Rolle“. Weshalb es Feichtinger zusammen mit seiner Frau nach Frankreich zog, wo man 1994 den ersten Wettbewerbsgewinn erzielte – eine Brücke über die Seine.
Vorher hat Feichtinger in den Büros von drei Altmeistern der jüngeren österreichischen Architekturgeschichte gearbeitet: Bei Eilfried Huth, dem er „sehr starke soziale Ansätze und eine humane Architektur“ bescheinigt, bei Volker Giencke – „Zur Zeit des Büro-Aufbaus haben wir das Studentenheim Lendplatz gemacht, das war ‚Bauen als Abenteuer‘ für den durchsetzungsstarken Giencke, der schon einmal einen Bauherrn vor die Tür gesetzt hat“ – und bei Klaus Kada, der einen eher pragmatischen Zugang zu den Bauherren gehabt habe, nach dem Motto ‚Über Architektur redet man nicht, Architektur macht man‘“, erinnert sich Feichtinger.
Hochbau als Haupttätigkeit
„Unsere Haupttätigkeit sind Bauaufgaben im Hochbau“, sagt der Wahl-Franzose, der 2009 zum Auslandsösterreicher des Jahres gekürt wurde, „aber die Sichtbarkeit der Brücken ist natürlich sehr hoch. In dieser Zeit hatte Feichtinger ein eigenes Büro in Klagenfurt mit bis zu 40 MitarbeiterInnen, dass es heute nicht mehr gibt. Die Highlights damals waren das Kunsthaus in Weiz, das 2005 fertiggestellt wurde, und der Bildungscampus in Krems. Auch der Wettbewerbsgewinn für das Landekrankenhaus Klagenfurt falle in diese Zeit. „Der war 2003, im Jahr darauf haben wir mit der Planung begonnen, im September 2006 war Baubeginn auf der damals größten Baustelle Österreichs und im Mai 2010 wurde der Bau übergeben“. Heute gibt es in der Grazer Starhemberggasse eine Büroadresse für die Dietmar Feichtinger Architectes ZT GmbH, allerdings nur als Adresse, denn das operative Büro ist in Wien angesiedelt, „aber gar nicht besetzt, weil wir in Österreich kein Projekt haben und sich ein wichtiger Mitarbeiter selbständig gemacht hat. Das war immer ein ausführendes Büro“. Was möglicherweise wieder kommt, wenn einer oder beide der laufenden Wettbewerbe erfolgreich ist/sind. Über deren Natur kann der Architekt naturgemäß nichts sagen, „weil es private Auftraggeber sind und die Verfahren laufen“.
Aus der „Wiener Zeit“ stammt auch die Verkaufs- und Finanzzentrale der voestalpine Stahl GmbH in Linz: Der markante Bau ist das Ergebnis eines Architektenwettbewerbes aus dem Jahr 2005, wurde 2007 begonnen und 2009 fertiggestellt. „Die Büroräume liegen in den vier von der golden schimmernden Fassade umfangenen Obergeschoßen. Diese sind streng linear und zweihüftig angeordnet, wobei die Krümmung des Baukörpers seine Längserstreckung optisch mildert. Die Büros liegen in einer breiten Mittelzone, in welche vier glasgedeckte begrünte Atrien eingeschnitten sind“, heißt es in der Baubeschreibung.
Planungszentrum Montreuil
Im Büro von DFA Dietmar Feichtinger Architectes in Montreuil arbeiten derzeit 30 bis 40 MitarbeiterInnen, aber „wir sind jetzt ein bisschen vorsichtiger, denn derzeit verlangsamt sich alles durch die herrschende Unsicherheit. Es braucht alles viel länger, auch bis der Bauherr eine Entscheidung trifft. Es gibt Kollegen, aber auch nicht viele, die von der Pandemie betroffen waren. Wir haben die Pandemie eigentlich gar nicht gespürt und haben alle nach Hause geschickt. Wir waren eigentlich nicht wirklich gut vorbereitet“, berichtet der Architekt im Building Times-Gespräch. Zwischen drei und fünf Millionen Euro Jahresumsatz erzielt die französisch-österreichische Architekturfirma, oder sollte es umgekehrt heißen?
In Belgien und Frankreich werden aktuell Planungen realisiert, in Österreich und Frankreich beteiligen sich die Montreuillois an Wettbewerben. Bauten von Feichtinger Architectes stehen in Österreich, Frankreich, Belgien, Dänemark und Deutschland. Über das bisher größte Projekt will sich Feichtinger nicht äußern, wohl aber über das kleinste: „Haus Sukthankar, die Erweiterung eines Stadthauses in Paris XII um 25 m²“. Und welches Projekt hat ihm die meiste Freude gemacht? „Es ist immer das Projekt, an dem ich momentan arbeite“.
Nationen-Vielfalt im Team
„Die MitarbeiterInnen kommen aus Frankreich, Spanien, Rumänien, drei bis vier aus Italien, einer aus Russland mit einer brasilianischen Freundin, die demnächst heiraten wollen, je eine/r aus Tschechien, Bulgarien, Portugal, der Türkei und Mexiko. Am längsten habe ich einen Chilenen“, zählt der Patron auf. „Immer wieder gibt es Einreise-Schwierigkeiten. Aber entgegen dem Bild des französischen Chauvinismus gibt es doch Wege, die nicht alle gehen“, ist Feichtinger auch auf diesem Feld Problemlöser.
Mehr als 13 Brücken hat Feichtinger bisher realisiert, darunter erst vor nicht allzulanger Zeit „Aldilonda“, eine fünf Meter über dem Meeresspiegel gelegene Promenade unter der Zitadelle von Bastia auf Korsika, „schwebend zwischen Meer und Himmel wird Aldilonda zum spektakulären Ereignis“, schreibt das Büro. Weiters eine neue Passerelle am Schnellzugs-Bahnhof von Saint-Laud, eine neue Fußgängerbrücke zwischen den Orten Mantes-la-Jolie und Limay in der Region île-de-France, die 137 m lange Romy Schneider-Fußgängerbrücke über den Ourcq-Kanal in Noisy-le-Sec, ebenfalls in der Region île-de-France, und einen Fußgänger- und Fahrrad-Übergang über die Bahngleise von Angers-Saint Laud in Westfrankreich.
Wichtige Wettbewerbe, richtige Partnerwahl
Jetzt noch eigens zu erwähnen, dass Wettbewerbe für Feichtinger sehr wichtig sind, ist fast obsolet, weil „das in der Natur der Sache liegt. Denn wir haben sehr viele öffentliche Auftraggeber“, sagt der Architekt und fügt hinzu: „Die Stellung der Ingenieurbüros in Frankreich ist sehr stark. Da man bei Generalplaner-Wettbewerben gemeinsam auftritt, entsteht im Büro großer Aufwand, um den richtigen Partner zu finden“. Apropos öffentliche Auftraggeber: Entscheidend natürlich für alle Brücken, aber beispielsweise auch für das Learning Center der Universität Brüssel/Haute Ecole Vinci, das Schwimmbad Antony Centre Aquatique La Grenouillere, ein Ausbildungszentrum für Pflegeberufe, Schulen, Kindergärten und Horte, usw. Und natürlich auch für das bisher wohl spektakulärste Projekt, die Sicherheitswände unter dem Eiffelturm: Nach dem Bataclan-Anschlag und der Amokfahrt von Nizza mit 86 Toten und mehr als 400 Verletzten mussten auch rund um den Eiffelturm, dem Wahrzeichen von Paris, Sicherheitsvorkehrungen errichtet werden, für die ein geladener Wettbewerb ausgerichtet wurde, den Dietmar Feichtinger Architectes gewann.
„Wir waren bestrebt, die historische Blickachse zwischen dem auf einem Hügel liegenden Palais Trocadero und dem Dome des Invalides zu bewahren, weshalb die Umzäunung im Bereich dieser Achse aus einer kugelsicheren, rahmenlosen Verglasung mit 72 Millimetern Stärke besteht“. Feichtinger kennt zwar keine No-Gos, auch Gefängnisse nicht, „denn da geht es ja auch um Menschen“, aber bei der Eiffelturm-Sicherung „war ich ein bisschen am Zweifeln“. Es habe dann aber eine sehr vernünftige Zusammenarbeit mit der Spezial-Polizei gegeben.
„Kein Brücken-Spezialist“
Früher schon hat es die Dreiländerbrücke über den Rhein gegeben, mit 238 Metern eine der weltweit längsten Bogenbrücken, die Passerelle de la Paix (Friedensweg) in Lyon und die Passerelle Simone de Beauvoir, den Erschließungsweg des Mont-Saint-Michel. Dennoch sieht sich Dietmar Feichtinger nicht als Brückenbau-Spezialist: „Ich mag die Bezeichnung Spezialist nicht. Wir arbeiten an einem Krankenhaus, an Universitäten, Bürogebäuden, Mautstellen, Kinos …und auch an Brücken“, schreibt er in seiner Selbstdarstellung. „Ich will mich nicht daran gewöhnen, nur Büros, Brücken oder etwas anderes zu entwerfen. Die Gewohnheit tötet die Kreativität“.
Was wohl mit ein Grund dafür sein dürfte, dass Feichtinger keine Material-Bevorzugung kennt: „Das richtige Material am richtigen Ort. Wir bauen mit Holz, Stahl und Beton und ich versuche, möglichst wenig zu mischen. Das hat auch einen ökologischen Aspekt im Fall des Rückbaus“.
BIM spielt eine große Rolle
Welche Rolle spielt BIM? „BIM – das ’leider‘ lass‘ ich schon weg – spielt eine große Rolle. Ist nicht immer ganz einfach, weil man im Haus nicht immer die Werkzeuge hatte. In der Zwischenzeit funktioniert es aber immer besser“, erklärt der Architekt. Da trifft es sich wohl gut, dass der älteste der drei erwachsenen Söhne im Büro als Netzwerk-Betreuer arbeitet. Der Mittlere studiert ebenso wie der Jüngste (22) Architektur und einer von ihnen macht gerade ein Praktikum bei den Eltern.
Die Familie sei wichtig, betont Dietmar Feichtinger, auch der Sport: „Schwimmen, jetzt pandemiebedingt Laufen, Fußball mit den Kollegen aus dem Büro – und wir haben auch einen Tischtennis-Tisch im Büro. Trompete habe ich mir selbst gelernt und ich lese auch gerne. Wir besuchen auch viele Ausstellungen und gehen auch gerne ins Kino“, sagt der Architekt, der Englisch, Französisch und Deutsch spricht und Spanisch „versucht“. Dazu kommen schließlich Reisen, „bei denen inzwischen die Natur wichtiger ist als die Häuser selbst“.