Nachhaltigkeit: Kluft zwischen Theorie und Praxis
Nachhaltigkeit in der Bauwirtschaft ist theoretisch fix verankert, in der Praxis gibt es bei Ressourcenschonung und dem Einsatz energieeffizienter Technik viel Luft nach Oben.
Welche Faktoren beeinflussen die Nachhaltigkeit nun konkret, inwieweit ist das Thema im Alltag der heimischen Bauwirtschaft – bei Investor:innen, Planer:innen, Ausführenden und Zulieferern – bereits angekommen? Die Info-Techno Baudatenbank ist diesen Fragen in einer aktuellen Umfrage, an der sich bundesweit über 700 Unternehmen beteiligt haben, nachgegangen.
Aspekte der Nachhaltigkeit sind in der heimischen Bauwirtschaft bereits fest etabliert, das belegen die Umfrageergebnisse ganz klar. Insbesondere die wirtschaftliche Nachhaltigkeit hat hohen Stellenwert. In 77 Prozent der an der Umfrage beteiligten Unternehmen ist Nachhaltigkeit ein Thema auf Geschäftsführerebene. Das Ziel ist es, langfristig gewinnmaximierend zu wirtschaften, ohne dabei Ökologie und Soziales zu vernachlässigen.
Ökonomische Nachhaltigkeit zählt
Für über 85 % der Befragten ist die ökonomische Nachhaltigkeit bei den Projekten, die bearbeitet werden, „sehr wichtig“, bzw. „wichtig“. Im Konkreten als wichtig erachtet werden dabei der CO2 Abdruck und die effiziente Ressourcennutzung von Haus-/Gebäudetechnik und der verwendeten Baumaterialien, ein nachhaltiger Wasserkreislauf und Aspekte der Konnektivität und des Verkehrs. Auch die Erhaltung der Biodiversität wird von der Mehrzahl der Unternehmen als Ziel erklärt. Für nur knapp die Hälfte der Unternehmen hat Nachhaltigkeit in Bezug auf die Lebenszykluskosten eines Gebäudes vorrangige Bedeutung, noch geringer fällt die Wichtigkeit hinsichtlich sozialer Werte der Projekte aus, knapp zwei Drittel schenken ihnen weniger Beachtung.
Bau-Realität hinkt nach
Sind nachhaltige Zielvorgaben bei den Projekten in der heimischen Bauwirtschaft heute bereits Standard? Bei aller großer Bedeutung, die dem Thema zugeschrieben wird, im Alltag gilt es noch aufzuholen. Nur 14 Prozent der Projekte, an denen die Befragten in den letzten 12 Monaten gearbeitet haben, hatten klare nachhaltige Zielvorgaben, nur 11 Prozent waren ein Netto-Null-Projekt.
Nachhaltigkeit als ausschlaggebender Faktor eines Gebäude-Assets scheint derzeit (noch) eher die Ausnahme, was aber nicht weiter verwundern darf, nennen die befragten Unternehmen doch zahlreiche Hürden, die einer nachhaltigen Bauweise im Wege stehen. Für über 90 Prozent sind es die Kosten für die Umsetzung, für rund 80 Prozent fehlt schlichtweg die Nachfrage seitens der Kunden. Weitere Barrieren sind die Komplexität des Nachhaltigkeitsprozesses und der dafür nötigen Berechnungen und die fehlende staatliche Regulierung, die unzureichenden politischen Rahmenbedingungen. In knapp über 50 Prozent der Unternehmen mangelt es an der Zeit, die für die Entwicklung und Umsetzung nachhaltiger Strategien benötigt wird, ein Drittel sieht sich von Herstellerseite schlecht informiert, ganz deutlich die Forderung von über 80 Prozent der Befragten: „Mehr Hersteller müssen Nachhaltigkeitsleistungsinformationen über ihre Produkte bereitstellen“ und die Zustimmung von 75 Prozent zur Aussage: „Eine robuste Spezifikation ist wichtig für die Erreichung nachhaltiger Ergebnisse“.
Das zur Umsetzung nachhaltiger Projekte nötige Know-how ist in den Unternehmen durchaus vorhanden. Konkret ausgedrückt sind 61 Prozent der Befragten von ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten im Bereich Nachhaltigkeit im Zusammenhang mit Projekten oder Produkten, an denen sie arbeiten, „sehr“, bzw. „ziemlich“ überzeugt.
Investoren und Bauherren befragt
Bei wem liegt nun aber die Verantwortung, dass Aspekte der Nachhaltigkeit ihren Niederschlag in aktuellen Projekten finden? Die Rollenzuteilung ist klar. Die absolute Mehrheit, über 90 % der Befragten, sieht Investor:innen, Bauherren und Bauherrenvertreter:innen in der Verpflichtung. An zweiter Stelle werden Generalunternehmen, Architekt:innen und Ingenieurbüros genannt. Eine logische Reihung, gibt die Ausschreibung eines Projektes und dessen Planung doch bereits die grundlegende Konzeption eines Gebäudes vor. Ausführende und noch weniger die Bauzulieferer haben nur wenig Einfluss.
Soweit zur Theorie, die sich auch im heute „typischen“ Bauprozess wiederfindet. Mit über 71 Prozent werden Aspekte der Nachhaltigkeit einem Projekt ganz zu Beginn, nämlich im Konzeptentwurf (30 Prozent), in Vorbereitung und Auftrag (24 Prozent) und in der strategischen Entwicklung (17 Prozent) zugeschrieben. An vierter Stelle wird die Ausführungsplanung mit 14 Prozent genannt. Untergeordnete Bedeutung im Bauprozess haben in Hinblick auf die Nachhaltigkeit einer Immobilie Bau, technisches Design, Übergabe und Betrieb. Fragt man die Unternehmen nach dem „idealen“ Bauprozess wird die Bedeutung der strategischen Entwicklung noch deutlicher, 36 Prozent der befragten Unternehmen sehen die Nachhaltigkeit in dieser Phase idealerweise berücksichtigt.
Nachhaltigkeit in der heimischen Bauwirtschaft – in den Köpfen der Investor:innen, Planer:innen, Ausführenden und Zuliefernden ist sie fest verankert. Gut so! Muss der Gebäudesektor doch einen grundlegenden Wandel durchleben um die festgeschriebenen Klimaziele zu erreichen. Jetzt gilt es den Worten in der täglichen Arbeit Taten folgen zu lassen.