Das große Mahnmal
Vor einem Jahr brannte der Londoner Grenfell Tower. 72 Menschen starben, weil brennbare Dämmung montiert wurde und so gut wie alle Brandschutz-Funktionen versagt haben, wie die Untersuchungen ergaben.
Vor genau einem Jahr brannte in London der Grenfell Tower. Das mächtige Feuer kostete 72 Menschen das Leben, weitere 70 Bewohner wurden verletzt. Inzwischen liegen eine Reihe von Untersuchungsberichten vor, mit denen das Brandereignis minutiös nachvollziehbar ist. Daraus geht ganz klar hervor, dass bei diesem Hochhaus sämtliche Sorgfalt unterlassen wurde. „Sowohl beim organisatorischen als auch beim baulichen und beim technischen Brandschutz“, seien klare Versäumnisse erkannt worden, sagt Monika Oswald vom Institut für Hochbau und Technologie der TU Wien im Rahmen der Tagung „Zukunftsperspektiven im Fassadenbau“. Oswald hat gemeinsam mit einem Kollegen einen Teil der im Juni veröffentlichten Untersuchungsberichte gesichtet und einschlägige Medienberichte gesammelt.
Aus der Interpretation dieser Quellen zeigt sich auch, dass die Feuerwehr den Brand im Turm falsch eingeschätzt hat. Das Feuer ist um 00.50 in der Küche einer Wohnung im 4. Stockwerk entstanden, vier Minuten später hat der Bewohner einen Alarm abgesetzt. Nur sechs Minuten später waren erste Einsatzkräfte vor Ort. Sie haben das Feuer in der Wohnung gelöscht und meinten, dass es damit erledigt sei. Die Feuerwehr kam ohne Drehleiter, was sich bitter rächte, denn das Feuer der Wohnung hatte auf die Fassade übergegriffen, wo es sich rasant ausbreitete. Ob die Flammen durch einen kleinen Außenventilator nach außen gelangten oder durch die brennbare Platte, in die der Lüfter eingebaut war, lässt sich nicht mehr feststellen. Faktum ist, dass die 150 mm starke Fassadenverkleidung aus Aluminium-Verbundplatten mit einem Polyethylen-Kern und die 5 cm-Hinterlüftung eine Katastrophe auslösten. Die Luft zwischen Betonwand und Isolierung erzeugte einen Kamineffekt. Auch weil, wie man heute weiß, vorgeschriebene Brandriegel teilweise falsch verbaut waren. Das passierte erst vor wenigen Jahren, denn der Turm wurde erst 2012 saniert, um die Wärmeverluste zu minimieren. Damals wurde zu den bestehenden Fenstern auch eine zweite Fensterschicht vorgebaut. Auch dabei kamen teilweise brennbare Materialien zum Einsatz.
Nachdem die Einsatzkräfte erkannten, dass das Feuer den Turm bedrohte, wurden Drehleitern angefordert. Es dauerte 32 Minuten, bis das erste Fahrzeug mit Leiter vor Ort war. Die Zufahrt zum Tower gestaltete sich schwierig. Früher war neben dem Tower ein befahrbares Parkdeck, das abgetragen und durch eine Schule ersetzt wurde. Dadurch waren die Löscheinheiten behindert. Auch stellte sich heraus, dass der Feuerwehr-Aufzug im Tower selbst nicht reichte, um die notwendige Ausrüstung in die oberen Stockwerke zu bringen. Da der Tower nur ein Stiegenhaus hat, kam es dort zu Staus, da erste Bewohner aus dem Turm flüchteten, obwohl die Einsatzkräfte sie aufforderten, zu bleiben. Dies war eine weitere Fehlentscheidung, denn der Fluchtweg war lange Zeit noch passierbar. Erst um 02:47 forderten die Einsatzkräfte die Bewohner auf, das Gebäude zu verlassen. Das war vielen zu diesem Zeitpunkt wegen der Verrauchung aber nicht mehr möglich. Nicht wenige meinten mit der Flucht nach oben zu entkommen; in den Wohnungen der obersten Geschosse wurden später die meisten Todesopfer gefunden.
Erschwerend für die Löscharbeiten war, dass die trockene Steigleitung sich als nicht funktionstüchtig herausstellte und die Entrauchungsanlage nicht ausreichend funktionierte. Dazu kam ein zu geringer Leitungsdruck im Löschwassersystem. Die Feuerwehr musste erst eine Leitung zur Themse legen, um über ausreichend Löschwasser zu verfügen. Zugleich gibt es Aussagen von Überlebenden, dass die Flucht von Hindernissen geprägt war. Manche hatten überhaupt keinen Brandalarm realisiert, andere berichten davon, dass die Fluchtwege unbeleuchtet waren. Erschwert wurde den Einsatzkräften die Rettung von Menschen durch zu wenig verfügbare Langzeit-Atemgeräte und Probleme mit der Funkverbindung.
Insgesamt kann man aus den Berichten also herauslesen, dass vor und während des verheerenden Feuers eine ganze Serie von Fehlern und Unzulänglichkeiten auftraten. Das gilt für die Produktzulassung, die Bauüberwachung, die Wartung der Brandschutzsysteme und am Ende der Kette auch für die Feuerwehr, die letztlich das gutmachen sollte, was davor verbockt worden war.
Nach den vielen Toten im Grenfell Tower erkannte man in Großbritannien Handlungsbedarf. Es wurden alle Gebäude erhoben, die mit ähnlichen Fassadensystemen gedämmt wurden. Man kam auf 278 große und kleine Objekte, die man danach genauer analysierte. Es blieben 266 Häuser übrig, die Tests nicht bestanden – überall dort sind Alu-Verbundplatten mit brennbarem Innenkern verbaut. Die Nutzer dieser Häuser werden sich ernsthafte Gedanken machen. Ob auch die Behörden, Verwaltungen und Eigentümer Schritte setzen, wird die Zukunft zeigen. Sicher ist das nicht, denn auch bei Grenfell Tower haben Bewohner wiederholt auf die Mängel beim Brandschutz hingewiesen. Vergeblich, wie wir heute wissen.