Baugewerbe will „Bauen außerhalb der Norm“
Das Baugewerbe und Ziviltechniker fordern einen Gebäudetyp E wie in Deutschland. Ein Forschungsprojekt untersucht die Umsetzbarkeit von Bauvorhaben außerhalb bestehender Normen und Vorschriften. In der Gebäudetechnik ortet man Überdimensionierungen.
Eine seit Jahren bekannte Ursache für hohe Baukosten ist die verpflichtende Einhaltung von Baustandards, wie z.B. Bauordnungen oder technische Normen. Jeder Standard für sich mag seine Begründung haben, aber zu viele Bauvorschriften erhöhen nicht nur die Baukosten, sondern verhindern auch Innovationen: so müssen Planer und Baufirmen in der Praxis an – teilweise auch veralteten – Lösungen festhalten, bloß um der Norm zu entsprechen und sich damit gegen eventuelle spätere Haftungsansprüche abzusichern. Gleichwertige, innovative und womöglich kostengünstigere Ausführungsalternativen können dadurch gar nicht erst in Betracht gezogen werden.
Rechtliche Zulässigkeit von Normenabweichungen
Damit diese technischen Möglichkeiten auch rechtlich umsetzbar werden, hat die renommierte Rechtsanwaltskanzlei Heid & Partner rechtliche Lösungsvorschläge ausgearbeitet. Daniel Deutschmann, Leiter dieses Projektes bei Heid & Partner, fasst zusammen: „Es könnte – wie in Deutschland beim Gebäudetyp E – eine Bestimmung im Baurecht verankert werden, welche dem Bauwerber einen Rechtsanspruch auf die Erteilung der Bewilligung trotz Abweichung von technischen Normen gibt. Dabei müsste nachgewiesen werden, dass die wichtigsten Sicherheitsstandards – Standsicherheit, Brandschutz, Schallschutz usw. – eingehalten werden. Darüber hinaus könnten im Zivilrecht – also im ABGB und in anderen Gesetzen, die für Verträge über Gebäude oder Gebäudeteile gelten wie u.a. Bauwerkverträge, Kaufverträge, Mietverträge – Bestimmungen zur Zulässigkeit der Normenabweichung angedacht werden; dies immer mit der Auflage, dass die zwingenden baurechtlichen Bestimmungen und behördlichen Anordnungen eingehalten werden.“
Ziviltechniker mit an Bord
Auch von Seiten der Ziviltechniker:innen setzt man auf ein großes Umdenken, wenn es darum geht, Normen zu definieren und diese in der Praxis umzusetzen: „Normen tragen einen Teil zum Stand der Technik bei. Das ist an sich gut aber eben auch ein Problem, da der Stand der Technik sich schneller wandelt als die Normen. Zu viele Normen können Widersprüche und Rechtsunsicherheit schaffen“, so Architekt Guido Strohecker von der Kammer der Ziviltechniker:innen. „Es braucht auch dringend schnellere Verfahren sowie Eigenverantwortung in der Verwaltung und der Planungsbeteiligten, denn Gesetze und Normen lassen durchaus Spielraum zu. Dieser kann genutzt werden, um Verwaltungsprozesse flexibler und effizienter zu gestalten, ohne den gesetzlichen Rahmen zu verlassen. Der Gebäudetyp E3, den die Ziviltechnikerkammer im engen Austausch mit den deutschen Kolleg:innen seit rund 1 Jahr erarbeitet, erlaubt, dass man teilweise außerhalb bestehender Normen agieren kann und dennoch dieselben Qualitäten und Sicherheitsstandards erreicht. Wir arbeiten intensiv über alle Grenzen und mit allen Beteiligten daran, dass dieses Modell in Österreich auf eine breite Basis zur Umsetzung zum Wohle sowohl im Consumer- wie auch im Businessbereich trifft.“
Eigenverantwortung fördern
Anton Rieder abschließend: „Wir wollen als Unternehmer wieder mutig sein, Eigenverantwortung fördern und gemeinsam mit den Bauherrn neue Wege in der Bauausführung gehen. Dazu brauchen wir aber die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen. In Summe sollen unsere Bemühungen dazu führen, die Baukosten nachhaltig zu senken, damit leistbares Wohnen und Arbeiten wieder zu ermöglichen und darüber hinaus den CO2-Fußabruck zu verkleinern. Wir fordern – in Anlehnung an den neuen Gebäudetyp E in Deutschland – einen Gebäudetyp E3, der für mögliche Normenabweichungen in Österreich stehen soll.“
Insgesamt sei das Projekt der Startschuss von weiteren Projekten des Baugewerbes, die zeigen sollen, dass Bauen mit Hausverstand ohne unnötige Normenzwänge einen wichtigen Beitrag zur Reduktion von Baukosten liefern kann. Diese Projekte sind in Ausarbeitung und deren Ergebnisse werden in den nächsten Monaten präsentiert.
Gebäudetyp E konkret – Beispiele aus Deutschland
Gebäudetechnik überdimensioniert
Ein weiteres Beispiel für Einsparungen sehen die heimischen Baumeister in der Gebäudetechnik. Hier könnte mit dem Einsatz von Gebäudesimulationen der Wärmebedarf exakter eruiert werden und daraus resultierend die Bohrungen für Erdwärme-Wärmepumpen deutlich reduziert werden, wenn man nich normgerecht baut. Statt zwei Bohrungen zu je 60 Metern könnte man mit einer Bohrung von 70 Metern das Auslangen sinden, so das präsentierte Beispiel. Bei einem Einfamilienhaus würden demnach Einsparungen in der Größenordnung von 20 Prozent möglich sein, so eine Analyse. Zudem würden die Wärmepumpen länger in Betrieb bleiben, weil sie weniger Schaltzyklen machen würden. Nachdem aber ohnehin vermehrt Luft-Wasser-Wärmepumpen verbaut werden, ist das Sparpotenzial auch wieder überschaubar.