„Es ist multikulturell“
Angelika Zeininger, erste Schulleiterin des Camillo Sitte Bautechnikums, spricht im Interview über Ausbildung, Frauenquote und Firmen, die selbst etwas gegen den Fachkräftemangel tun müssen.
Das Leben als Schulleiterin bedeutet, ständig auf Achse zu sein. Eine ruhige Minute gibt es im Laufe des Tages kaum. Angelika Zeininger ist seit 2019 Schulleiterin des Camillo Sitte Bautechnikums in Wien. Seit mittlerweile 1983 befindet sich die Schule als eigenständige Bildungseinrichtung in der Leberstraße im 3. Wiener Gemeindebezirk. Rund 1.300 SchülerInnen und Studierende werden in der einzigen Bautechnikschule Wiens von rund 150 Lehrpersonen in den Bereichen Hochbau, Tiefbau und Bauwirtschaft ausgebildet. Für Zeininger keine leichte Aufgabe, denn die aktuelle Bildungspolitik lässt zu wenig Platz für Visionen. Die Wirtschaft sucht Fachkräfte, doch dass man dafür in den Pflichtschulen mit einer Umstrukturierung beginnen müsste, scheint bei jenen an der Spitze noch nicht angekommen zu sein. Die Problematik liege auch darin, dass die berufsbildenden Schulen vergessen werden. Diese Schulform müsste wirtschaftlich viel stärker vernetzt werden. Die Camillo Sitte-Schule macht es vor, wie das funktionieren kann. Biennal findet das Camillo Sitte-Symposium statt. In den letzten beiden Jahren gingen diese unter den zukunftsweisenden Leitthemen „Energie“ und Stoffe“ über die Bühne. Hochkarätige ExpertInnen von Behörden und namenhaften Firmen haben daran teilgenommen und waren mit Speakern vertreten. Die Kooperationen mit großen Baufirmen, wie der Porr und Strabag sollen den Schüler-Innen und Studierenden helfen, einen Fuß ins Berufsleben zu setzen. Aber nicht nur der wirtschaftliche Faktor liegt Zeininger am Herzen. Für die Schulleiterin hat der soziale Anteil, der an der Schule unter den Begriff „Coaching-Netzwerk“ fällt, einen ebenso großen Stellenwert. Im Gespräch mit Building Times gibt sie Einblicke in die Schulform, Frauenquote und was, ihrer Meinung nach, schleunigst in der Bildungspolitik geschehen müsste.
INTERVIEW: Angelika Zeininger
Building Times: Welche Ausbildungsformen gibt es am Camillo Sitte Bautechnikum?
Angelika Zeininger: Wir haben acht unterschiedliche Ausbildungen an der Schule. Für 14-jährige haben wir zwei Ausbildungen im Angebot. Die fünfjährige HTL und die 3,5-jährige Fachschule mit Betriebspraxis. Die fünfjährige Ausbildung schließt mit einer Reife- und Diplomprüfung ab. Die SchülerInnen verfassen auch eine Diplomarbeit. Nach vier Jahren Praxis kann im Anschluss ein Ingenieurtitel an der Wirtschaftskammer erlangt werden. Mit der Fachschule möchte man den SchülerInnen eine Möglichkeit für den erfolgreichen Berufseinstieg bieten. Hier findet der Einstieg in die Praxis sehr schnell statt.
Building Times: Wie sehen die anderen Ausbildungsformen an der Schule aus?
Zeininger: Für 17-jährige gibt es auch zwei Ausbildungsformen. Das sind der Aufbaulehrgang für Bautechnik, dieser dauert 2,5 Jahre und das Kolleg für Bautechnik, welches zwei Jahre dauert. Zusätzlich zu diesen Tagesformen bieten wir diese beiden Ausbildungen auch als berufsbegleitende Abendformen an, sowie den Vorbereitungslehrgang für Bautechnik. Als letzte Ausbildungsform haben wir auch noch eine Bauhandwerkerschule für Maurer und Zimmerer.
Building Times: Wie ist da das Zusammenleben in der Schule, wenn so viele Nationen zusammentreffen?
Zeininger: Es ist multikulturell. Wir führen hier einen „Ausbildungsbetrieb“. Dieser orientiert sich an den Erfordernissen einer modernen Gesellschaft. Wir sind urban und multikulturell. Wir haben einen Coaching-Betrieb, der die Chancen für junge Leute öffnen soll und dafür sind wir auch engstens mit der Bauwirtschaft verknüpft. Denn wir sind es, die die nächste Generation der BautechnikerInnen ausbildet. Es geht hier nicht nur um das Fachwissen, sondern auch um Teamfähigkeit, Resilienz und Eigenständigkeit. Unsere Jugendlichen und Erwachsenen werden ausgebildet, für die Gestaltung einer nachhaltig gebauten Umwelt. Sowohl technisch als auch sozial.
Building Times: Am Camillo Sitte Bautechnikum gibt es ja ein breites Angebot im sozialen Bereich, auch was den Wohlfühlfaktor der SchülerInnen betrifft. Es gibt Peers, individuelle Lernbegleitung, Schulpsychologen und Jugendcoaching. Dieses große Angebot ist eine Seltenheit für eine Schule.
Zeininger: Das ist der soziale Aspekt. Ich sage immer, ein moderner Ausbildungsbetrieb ist ein Coaching-Betrieb. Das Thema „Diversity“ wird großgeschrieben. Wir müssen uns einfach diesen Fragen stellen: Fühlen sich alle wohl? Wie wird mit dem multikulturellen Miteinander umgegangen? Wie können wir die Teamfähigkeit fördern und das Selbstbewusstsein stärken? Das ist das Thema der Wirtschaft, der Ausbildung, des Betriebes! Und ein Ausbildungsbetrieb ist auch ein Betrieb. Heute kommt es auf einen Betrieb an, der den Menschen Sicherheit und Chancen gibt und dazu brauche ich einen ausgeklügelten Coaching-Betrieb!
Building Times: Wie viele SchülerInnen beenden die Ausbildung vorzeitig?
Zeininger: Wir bemühen uns, dass Umorientierungen am Anfang erkannt werden, spätestens im zweiten Jahr und, dass wir für alle Lösungen finden. Wir können reagieren. Wir können unterschiedliche Wege anbieten, da wir auch sehr gut vernetzt sind. Selbst wenn der Weg in eine ganz andere Richtung geht. Ich muss aber sagen, dass der Prozentsatz des Drop-Outs immer geringer wird. Wir haben seit vielen Jahren keine Klassenzusammenlegungen mehr.
Building Times: Wie sieht es mit den SchülerInnen und Studierenden aus, die abgewiesen werden? Sind das viele?
Zeininger: Wir müssen leider jedes Jahr über 100 BewerberInnen abweisen. Wir können da natürlich gleich am Anfang beraten, sofern dies notwendig ist. Daher ist die Drop-Out-Rate auch eher gering. Was wir gemerkt haben, ist, dass vor allem die Abendschiene in der berufsbegleitenden Form sehr wichtig ist. Gerade in der Bauwirtschaft treffen sehr viele verschiedene Menschen aufeinander und dafür bieten wir einiges an. Die berufsbegleitende Abendform ist eine wichtige Ergänzung zum Angebot am Tag. Wir haben heuer rund 350 Abend-Studierende.
Building Times: Hat da Corona etwas dazu beigetragen, und wie ist es der Schule in der Pandemie ergangen?
Zeininger: Man kann sagen: Wir können das! Wir können damit umgehen, weil wir von vornherein einen sehr selbstständigen Arbeitsstil haben und wir bereits sehr früh in Digitalisierung investiert haben. In manchen Bereichen war es überhaupt keine große Umstellung, in anderen mussten wir mehr investieren. Aber die Umstellungserfordernisse in die Digitalisierung, der ortsungebundene Unterricht, haben uns sehr bereichert. Unsere Resilienz wurde im Ausbildungsbetrieb enorm gesteigert.
Building Times: Das heißt, die Pandemie war für den Schulbetrieb auch eine Art Bereicherung, von der Sie etwas mitnehmen konnten?
Zeininger: Unbedingt! Wir haben sehr viel mitgenommen. Zum Beispiel, dass wir seitdem eine Unterrichtsplattform zur Organisation des Unterrichts nutzen. SchülerInnen haben damit einen Überblick, was aktuelle Aufgaben betrifft und auch, wo sie die Unterlagen finden. Ein Vorteil ist natürlich, dass diese Plattform von überall einsehbar ist. Die SchülerInnen und Studierenden sind damit immer informiert, ob sie nun in Präsenz da sind oder nicht. Wir haben erkennen dürfen, dass man nicht in die Schule gehen muss, um zu lernen.
Building Times: Wofür braucht es die Schule Ihrer Meinung dann noch?
Zeininger: Schule ist ein sozialer Ort des Austauschs und den brauchen wir ganz dringend. Auch das Vernetzen nach Außen brauchen wir unbedingt und das ist es, was wir können. Was man online natürlich nicht ersetzen kann, ist der praktische Teil. Wir haben eine Versuchsanstalt im Haus. Das Konzept des Schultyps seit Camillo Sitte ist „Hirn und Hand“. Das bedeutet, dass ich Theorie lerne und Praxis in der Werkstatt habe. Zusätzlich habe ich von der Grundidee vor Ort die Forschung vollkommen inkludiert. Das forschende Lernen ist ein wichtiges Element im Ausbildungsbetrieb und das ist es auch, was draußen im späteren Berufsalltag gebraucht wird. Das ganze wissenschaftliche Arbeiten gehört im Prinzip neu gedacht. Unser Leitsatz heißt: Forschen – Planen – Bauen – Nutzen. Das Zentrum unseres Ausbildungsbetriebs ist nicht nur der Unterricht in Klassen, sondern auch der interdisziplinäre Projektunterricht und natürlich das Lerncoaching.
Building Times: Wie sieht denn die Frauen-Quote in dieser Schule aus und ergreifen Sie spezielle Maßnahmen, um mehr Mädchen und Frauen für diese Berufe zu begeistern?
Zeininger: Im Schnitt haben wir in allen Ausbildungsbereichen rund 20% Frauen-Anteil. Beim Kolleg ist der Anteil sogar ein wenig höher. Wir gehen natürlich auf Mädchen zu. Wobei man auch sagen muss, dass wir das Thema breiter aufgreifen. Wir befassen uns nämlich auch mit der Thematik LGBTQ. Wir haben hier Lehrende, die auf diesem Gebiet sehr sensibel sind. Es geht hier nicht nur um weiblich und männlich, es geht darum Respekt zu haben vor allen Menschen. Was nun speziell die Frauen betrifft, so wissen wir, dass 12-jährige Mädchen bereits so stark konnotiert sind, dass es einfach zu spät ist. Es muss viel früher an die jungen Kinder herangetreten werden. Daher ist das Schulformenübergreifende in der Bildungsdirektion extrem wichtig. Wir möchten sehr gerne mit Kindergärten und Volksschulen stärker kooperieren. Wir planen schon lange einen Sommebauhof ins Leben zu rufen, aber mit Covid-19 ist das leider wieder verzögert worden. Wir stellen uns das so vor, dass es eine Werkstatt gibt mit Sand, Wasser, Lehm und Sport. Hier sollte ganz simpel mit dem Haptischen gearbeitet werden.
Building Times: Das heißt, für neue Fachkräfte muss man bereits ganz früh mit der Thematik beginnen?
Zeininger: Ja, das ist ein Weg. Ich sage aber auch immer, wenn die Firmen Fachkräfte brauchen, dann müssen sie sich bei den Pflichtpraktika beteiligen. Die Unternehmen haben derzeit das Problem, dass es einen Fachkräftemangel gibt, weil sie sich lange Zeit nicht darum gekümert haben. Die Werkmeister wurden mit Burn-out in Pension geschickt, damit ist das Know-how in Pension gegangen. Diese Problematik hat die Wirtschaft mittlerweile verstanden. Wir haben nachhaltige Kooperationen aufgebaut.
Building Times: Abgesehen vom Sommerbauhof welche Punkte stehen noch auf Ihrer Agenda?
Zeininger: Wichtig ist, dass die Zubringerschulen besser mit uns vernetzt werden. Wir wollen in den Pflichtschulen noch viel präsenter werden. Der nächste große Punkt auf der Agenda ist das 13. Camillo Sitte-Symposium, welches vom 20. bis zum 24. Februar 2023 stattfinden wird. Die Schwerpunkte sollen hier bei nachhaltiger Infrastruktur und dem guten Leben in der Stadt liegen. In diesem Jahr feiern wir auch das 40-jährige Bestehen der Bau-Schule in der Lebergasse. Ein weiterer großer Punkt, der ansteht ist, dass wir mit der dreijährigen Fachschule mit der Betriebspraxis genauso stark werden wollen, wie mit der fünfjährigen Ausbildungsform. Dafür ist geplant, einen Teil der Schule auszubauen.