Wettbewerb verflügelt
Eine Reform des Kartellrechts ist unterwegs. Die bislang unabhängig agierende Wettbewerbsbehörde soll künftig ans Ministerium berichten. Reiner Zufall.
Die Pandemie und ihre Folgen erfordern alle Kraft der Politik. Mehr als 400.000 Arbeitslose und tausende Betriebe, bei denen fraglich ist, ob sie nicht dem Virus erliegen, brauchen schließlich ein Management, das sich mit vollem Elan dem Überleben und Übertauchen widmet. Umso mehr sorgt ein aktueller Vorstoß des Wirtschaftsministeriums in Sachen Kartellrecht für Erstaunen. Die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) soll schnell vor dem Sommer einer Berichtspflicht unterworfen werden, so eine zur Begutachtung verschickte Kartellrechtsnovelle.
Anfragen unverzüglich beantworten
Der Gesetzesentwurf spricht Klartext: „Die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort hat das Recht, sich jederzeit über alle Gegenstände der Geschäftsführung und Aufgabenerfüllung der Bundeswettbewerbsbehörde zu unterrichten“. Und: „Die Bundeswettbewerbsbehörde hat der Bundesministerin (…) unverzüglich und auf Verlangen schriftlich alle diesbezüglichen Anfragen zu beantworten“. Diese Informationspflicht sei sehr umfassend formuliert und enthält keinerlei Einschränkungen, wie die Wettbewerbsbehörde feststellte. Theoretisch wäre es also möglich, Information wie etwa über Hausdurchsuchungen, deren Planung und Durchsetzungszeitpunkt zu erfragen.
Neue Oberste Anwaltschaft
Kurzum, das Kabinett Kurz möchte die ohnehin nicht zähnefletschende heimische Wettbewerbsbehörde an die Leine nehmen, wie der Neos-Wirtschaftssprecher Josef Schellhorn glaubt. Die Behörde selbst wurde von der Politik nicht in Kenntnis gesetzt, dass ihr eine Reform ansteht. Dafür ließ Wirtschaftsministerin Margarethe Schramböck erst kürzlich wissen, sie verstehe sich als „oberste Anwältin der Betriebe“. Eine starke Ansage. Diese ministerielle Mischung aus politischer Aktivität und persönlicher Befindlichkeit ist womöglich familiär begründet, sollte aber bei allen Unternehmen, die redlich wirtschaften die Alarmglocken läuten lassen. Manche von ihnen werden sich fragen, ob es noch Sinn macht, sich an die Wettbewerbsbehörde zu wenden, wenn Feuer am Dach ist. Ist es nicht hilfreicher, einen guten Draht zur Obersten Anwaltschaft zu suchen, mit Spenden zum Beispiel?
Kartell braucht Gegenmittel
All das spielt sich vor unseren Augen ab. Es gibt 40 Baufirmen, die im Verdacht stehen zwischen 2002 und 2017 eine Art Mega-Baukartell gebildet zu haben. Das Verfahren dazu läuft und die Wettbewerbsbehörde hat erst kürzlich einen Bußgeldantrag gegen die Porr AG gestellt. Der Konzern gibt sich inzwischen reumütig, hat Rückstellungen gebildet und die schwarzen Schafe in seiner Herde gerügt.
Ein Zufall, dass gerade jetzt in dieser Stunde die Bewegungsfreiheit dieser Behörde unter ministerielle Aufsicht gestellt werden soll. Aber Zufälle gibt es eben. Es gibt ja auch Frauen, die Laptops zum Nachmittags-Spaziergang mitnehmen, weil zufällig gerade eine freiwillige Nachschau ansteht. Wie lange der Wettbewerb der Zufälle noch andauert, lässt sich kaum abschätzen.