Vergabe & Klimaschutz
Zwischen Anspruch und Umsetzung: Der Weg zu einer rechtssicheren ökologischen Bauzukunft ist holprig. Wie sich Vergaberecht, Normen und Nachhaltigkeit neu ausrichten müssen – ein Bericht vom Betondialog Wien.
Der ökologische Umbau des Bauwesens gilt als eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre. Doch zwischen den Klimazielen der EU, nationalen Rechtsrahmen und der Praxis am Bau entsteht eine komplexe Gemengelage. Beim Betondialog Wien diskutierten Vertreter:innen aus Bauwirtschaft, Recht, Verwaltung und Planung über Wege zu einer nachhaltigen, rechtssicheren Bauzukunft. Ihr Fazit: Der gute Wille reicht nicht – es braucht klare, messbare und faire Regeln, um Nachhaltigkeit im Markt und im Rechtssystem gleichermaßen zu verankern.
Der Staat als größter Bauherr – und als Hebel der Transformation
„40 bis 50 Prozent des globalen Betons kaufen Staaten, Städte und Kommunen – direkt oder über ihre Unternehmen“, erklärte Sebastian Spaun, Geschäftsführer der Vereinigung der Beton- und Zementindustrie. Gerade deshalb könne der öffentliche Sektor eine Schlüsselrolle in der Transformation spielen.
„Wenn der Staat als größter Auftraggeber klimafreundlich ausschreibt, kann er Märkte schaffen, die es heute noch gar nicht gibt“, so Spahn. Doch zwischen Anspruch und Realität liege ein weiter Weg. Selbst wenn ein Hersteller heute „grünen Beton“ anbiete, stoße er in der Praxis häufig auf Skepsis: „Dann hören Sie: Gib dem Nachbarn den Öko-Scheiß und mir das gute alte Material.“ Spauns Befund bringt ein zentrales Problem auf den Punkt: Innovation braucht nicht nur Technik, sondern Vertrauen – und Rechtssicherheit.
Sprachverwirrung der Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit ist längst kein Nischenthema mehr, sondern Teil einer unübersichtlichen Regelarchitektur geworden. Bernhard Sommer, Präsident der Ziviltechniker:innenkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland, sprach von einer „babylonischen Sprachverwirrung: Wir haben Zertifizierungen, die über das Gesetzliche hinausgehen. Wir haben europäische Vorgaben mit verbindlichen Zielen. Und wir haben die EU-Taxonomie, die eigentlich Ordnung schaffen sollte – aber neue Komplexität erzeugt.“ Nachhaltigkeit sei, so Sommer, ein „breites Feld – von Ressourcenschonung über Energie bis Gesundheitsschutz“. Hoffnung setzt er in die neue OIB-Richtlinie 7, die ökologische Kriterien künftig stärker verankern soll. Auch das Vergaberecht öffne sich: „Noch vor wenigen Jahren galten Öko-Kennzahlen als unzulässige Marktverzerrung. Heute sind sie ein Muss.“
Verwaltung im Spannungsfeld
Die Stadt Wien gilt mit ihrer Kreislaufstrategie und Pilotprojekten wie dem Zirkularitätsfaktor ZSF 1.0 als Vorreiterin. Bernhard Jarolim, Wiener Stadtbaudirektor, betonte jedoch den Balanceakt zwischen Innovation und Rechtstreue: „Wir müssen alle Regelungen rechtzeitig umsetzen, sie mit bestehenden Strategien verknüpfen und für die Praxis handhabbar machen. Schnellschüsse können wir uns nicht leisten.“ Das Ziel sei, die Performance eines Materials über den gesamten Lebenszyklus zu bewerten – nicht dessen Image. „Wir dürfen keine Regelungen schaffen, die bestimmte Baustoffe bevorzugen. Entscheidend ist die Leistung, egal ob Beton, Holz oder Verbundmaterial.“ Experimentierfreude sei willkommen, aber mit Augenmaß: „Bei großen Projekten wie der Stadtstraße kann ich keine Experimente verantworten, die später im Rechnungshofbericht stehen. Aber im kleineren Maßstab können wir neue Wege gehen.“
Leistbarkeit & Klimaschutz
Für Jutta Wörtl-Gößler, Architektin und stellvertretende Vorsitzende des Bauausschusses der ZT-Kammer, gehört Leistbarkeit untrennbar zur Nachhaltigkeit. „Wir haben den Ausschuss für Wohnbau und Leistbarkeit gegründet, weil die Baupreise explodiert sind.“ Klimaschutz dürfe nicht zum Luxusgut werden. Vielmehr liege das Potenzial in der Prozessoptimierung: „Wenn Architekt:innen frühzeitig in die Preisgestaltung eingebunden sind, können sie gemeinsam mit den Firmen günstigere und bessere Lösungen entwickeln.“ Auch die Vergabepraxis selbst sei ein Hebel: „Generalunternehmerverfahren sind im Schnitt zehn Prozent teurer als Einzelvergaben – dabei fördern letztere auch kleine und mittlere Betriebe. Das ist volkswirtschaftlich und ökologisch sinnvoller.“
Rechtliche Präzision als Grundlage
Juristische Klarheit bleibt die Voraussetzung für jede ökologische Innovation. Rudolf Lessiak, Rechtsanwalt und Honorarprofessor an der Universität Wien, ordnete die aktuelle Situation nüchtern ein: „Wir stehen mitten in einer Überlagerung europäischer und nationaler Normen, die sich ständig ändern.“ Sein nüchterner Zwischenbefund: „Im Hochbau wird es noch lange kein taxonomiekonformes Projekt geben“, so der Jurist. Das hindert aber bekanntlich niemand daran, Zertifikate zu vergeben, wie es zum Beispiel die Ögni tut.
Wien sei aber inzwischen „sehr weit“ bei der Integration von Umweltvorgaben in Wettbewerben, die kommende OIB 7 werde „ab 2028 verbindlich greifen“. Entscheidend sei, dass ökologische Anforderungen „klar, messbar und rechtssicher“ formuliert werden: „Ich will nicht diskutieren, ob 0,2 irgendwas CO2-Äquivalent beim Zement zu viel oder zu wenig ist. Ich brauche präzise Vorgaben, über die keiner streiten kann.“ Lessiak fordert eine enge Verzahnung von Recht und Technik: „Wenn der Jurist beschreibt, wie etwas gehen soll, muss er wissen, wie es funktioniert – sonst schreibt er eine Gebrauchsanleitung für ein Gerät, das er nicht versteht.“
CO2-Klassen und Ökobilanzierung: Sprache und Zahlen als Brücken
Wie sich Komplexität reduzieren lässt, zeigte Spaun anhand eines neuen Systems aus CO2-Klassen für Beton, das auf europäischen Normen basiert. Jede Festigkeitsklasse erhält Emissionswerte – von der heute marktfähigen (grün) bis zur zukünftigen (rot).
„Der Ausschreibende soll wissen, was er rechtssicher verlangen kann und was es kostet“, so Spaun. „So entsteht eine gemeinsame Sprache zwischen Planern, Auftraggebern und Industrie.“
Auch Ökobilanzierung wird zum Standardinstrument. Sie macht die Umweltwirkungen eines Gebäudes über den gesamten Lebenszyklus sichtbar. Sommer verweist auf Defizite bestehender Tools: „Der österreichische Oe3-Index ist völlig unbrauchbar, weil er nur die Herstellphase abbildet.“ Neue Berechnungen nach EN 15804 zeigen dagegen enorme Einsparpotenziale: Ein geförderter Wiener Wohnbau kam laut Wörtl-Gößler auf „12 kg CO2 pro m²“ – gegenüber „546 kg bei konventionellem Stahlbeton“. Hochgerechnet auf 15 000 Wohnungen bedeute das über 100 000 Tonnen weniger CO2. Eine Rechnung, die wie Spaun betont sich nie und nimmer ausgeht. Er beziffert das Einsparpotenzial von Holz gegenüber Beton mit vielleicht 20 Prozent.
Kooperation statt Konkurrenz der Systeme
Am Ende der Diskussion stand Einigkeit: Nachhaltiges Bauen ist kein technisches, sondern ein strukturelles Projekt. Es erfordert Kooperation – zwischen Normung, Verwaltung, Recht und Industrie. Oder, wie Jarolim es formulierte: „Die Bemühungen der Industrie und der Planenden gehen in die richtige Richtung. Wichtig ist nur, dass sie sich nicht gegenseitig kannibalisieren. Der Wettbewerb muss fair bleiben – dann kann Nachhaltigkeit zum neuen Normal werden.“ Die Instrumente entstehen bereits: CO2-Klassen, Lebenszyklusanalyse, überarbeitete OIB-Richtlinien und verbindliche EU-Vorgaben. Doch bis sie ein stimmiges Ganzes ergeben, gilt: Der gute Wille ist nur der Anfang – die Zukunft braucht klare Regeln.
Was ist mit der Grünen Wiese?
Der Betondialog zeigte eindrucksvoll: Die ökologische Wende im Bauwesen wird nicht allein durch neue Materialien gewonnen, sondern durch ein neues Zusammenspiel von Recht, Verwaltung und Markt. Nachhaltigkeit ist kein Add-on mehr – sie wird zur Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit und gesellschaftliche Akzeptanz. Und die endet schnell, wenn es darum geht neue Projekte auf die Grüne Wiese zu stellen. „Unsere künftige Aufgabe ist das transformative Bauen“, meint dazu die Architektin Wörtl-Gößler. Hier widerspricht der Wiener Baudirektor ganz klar: „Das Bauen auf der grünen Wiese ist in Wien notwendig, weil die Stadt weiter wächst.


