Klimaneutralität fordert voll

Um das Ziel der Klimaneutralität 2040 zu erreichen müssen tiefgreifende Veränderungen struktureller, technologischer, institutioneller, gesellschaftlicher und individueller Ebene erfolgen, so eine aktuelle Studie.

Die Bundesregierung hat es sich zum Ziel gesetzt, den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase in Österreich bis 2040 vollständig zu stoppen. Das Energiesystem ist für 80 Prozent dieser Gase verantwortlich. Wie kann dieses System also klimaneutral gemacht werden? Die Boku hat das gemeinsam mit der AEA und dem IIASA im Rahmen des Projekts „NetZero2040“ untersucht. Das Ergebnis: Es sind sehr rasche und tiefgreifende Veränderungen auf struktureller, technologischer, institutioneller, gesellschaftlicher und individueller Ebene notwendig, um den Plan innerhalb der nächsten 17 Jahre umzusetzen.

Das Projektteam rund um Johannes Schmidt vom Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung an der Boku hat dazu gemeinsam mit Stakeholdern aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft in zwei Workshops zentrale Treiber identifiziert, welche die Energiewende ermöglichen. Daraus wurden vier qualitative Narrative entwickelt, die unterschiedliche Szenarien zur Erreichung der Klimaneutralität beschreiben. Anschließend wurde berechnet, wie diese Szenarien mit den geringstmöglichen Kosten umgesetzt werden können. Die vier Szenarien unterscheiden sich durch Faktoren, die folgende Fragen umfassen: Werden wir künftig mehr oder weniger Auto fahren? Werden wir in größeren oder kleineren Wohnungen bzw. Häusern leben? Werden wir in Österreich mehr oder weniger industrielle Produktion haben? Werden wir Treibstoffe und Gase, die keine klimaschädlichen Emissionen verursachen, wie z. B. Wasserstoff, E-Fuels und synthetische Gase, eher importieren oder in Österreich erzeugen?

Beschleunigter Ausbau der Windkraft

Die Ergebnisse zeigen, dass für das Ziel der Klimaneutralität in allen Szenarien der Ausbau der Stromerzeugung bis 2030, vor allem durch Windkraft, sehr schnell erfolgen muss – nämlich um 60 Prozent schneller als im Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) vorgesehen. Und auch doppelt so schnell wie der rasante Wasserkraftausbau in Österreich im vergangenen Jahrhundert. Je nach Energiequelle sind unterschiedliche Aspekte zu berücksichtigen. „Zu viel Sonnenenergie kommt – im Vergleich zu Windkraft – unnötig teuer“, erklärt Daniel Huppmann vom IIASA, „denn Sonnenenergie hat dasselbe Problem wie Laufwasserkraft: Sie erzeugt Strom mehrheitlich im Sommer. Wind hingegen bläst das ganze Jahr über – und auch in der Nacht.“

Elektrifizierung und Einsparungen

Neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien ist es laut Martin Baumann von der Österreichischen Energieagentur auch erforderlich, den Austausch fossil betriebener Fahrzeuge und Heizungen so zügig wie möglich durchzuführen. Sprich: Elektroauto statt Verbrennermotor, Wärmepumpe statt Gastherme. Das würde den Energieverbrauch drastisch senken. Ein weiteres Mittel ist die Gebäudesanierung. Aber auch Verhaltensänderungen sind wichtig: „Weniger Auto fahren, kleinere Wohnflächen und ein Rückgang der industriellen Produktion in dem Ausmaß, wie es unsere Stakeholder als machbar eingeschätzt haben, könnten den Energieverbrauch um bis zu 20 Prozent senken“, so der Energiesystemanalyst.

Rückbau fossiler Infrastruktur

Synthetische Treibstoffe und Gase wie E-Fuels und Wasserstoff werden aus Strom hergestellt und hauptsächlich aus dem Ausland importiert. Sie sind teuer und ihre Produktion ist sehr energieaufwendig. Daher finden sie hauptsächlich dort Anwendung, wo es (noch) keine Alternativen gibt: in der Luft- und Schifffahrt, in der Industrie und zu kleinen Teilen wiederum in der Stromerzeugung zur Deckung von Zeiten mit wenig verfügbarer Windkraft und Sonnenenergie. Für den Gebrauch in Haushalten lohnen sich diese Energieträger nicht. Dennoch werden sie ab 2040 in Gasheizungen zum Einsatz kommen, weil die aktuelle Bundesvorlage des Erneuerbaren-Wärme-Gesetzes (EWG) nur bei Neubauten ein Verbot von Gasheizungen vorsieht, der Einbau in bestehenden Gebäuden jedoch weiter möglich ist.

Klimaneutralität 2040 ist erreichbar

Neben dem zügigen Ausbau erneuerbarer Energien als zentralem Erfolgsfaktor zur Erreichung der Klimaneutralität ist es auch von großer Bedeutung, die Errichtung neuer fossiler Infrastruktur zu verhindern.
„In Summe zeigt unsere Studie ermutigende Ergebnisse: Die Erreichung des Klimaneutralitätsziels ist durchaus realistisch“, so Projektmitarbeiterin Hermine Mitter. „Allerdings verdeutlichen die Daten auch, dass zur Verwirklichung dieses Ziels umgehend sehr tiefgreifende Veränderungen auf struktureller, technologischer, institutioneller, gesellschaftlicher und individueller Ebene erforderlich sind.“ Während manche Trends in die richtige Richtung zeigten, sei die derzeitige Geschwindigkeit völlig unzureichend.

Gesellschaftliche Akzeptanz und Politik entscheidend

Unsere Szenarien verdeutlichen, dass es einer breiten Unterstützung seitens der Politik und der Bevölkerung bedarf, um Klimaneutralität generell und insbesondere bis 2040 zu erreichen. Für diese enorme Transformationsaufgabe sind drei Aspekte zentral: die gesellschaftliche Akzeptanz für den Ausbau von Energieinfrastruktur, die ‚klimafreundliche‘ Ausrichtung von Lebensstilen und die sofortige Umsetzung ambitionierter politischer Klimaschutzmaßnahmen“, erläutert Projektmitarbeiter Michael Klingler.