Wachstum bei Stillstand

Trinkwasserinstallationen sind komplex und sensibel geworden. Rohre, Armaturen, Filter, Enthärtungsanlagen & Co. verlangen zunehmend nach Management, um die Hygiene zu gewährleisten.

Die Lockdowns der Vergangenheit haben nicht nur die Laune getrübt. Sie haben ganze Wirtschaftszweige schwer beeinträchtigt. Und sie haben möglicherweise auch dazu beigetragen, dass der mitunter tödliche Erreger Legionella pneumophila sich mehr etabliert hat als in den Jahren davor. Stehendes Wasser ist schlechtes Wasser und davon gab es in geschlossenen Hotels, verwaisten Bürotürmen und Fitnesstempeln mehr als genug. Schon ohne Lockdowns war die Situation nicht ohne. Laut TÜV Austria sterben allein in Europa jährlich rund 20.000 Menschen an den Folgen einer Legionelleninfektion. Kein Wunder also, dass ganze Heerscharen von Technikern, Medizinern und Hygienikern danach trachten die Gefahr des Erregers zu minimieren.

Legionellen vermehren sich am stärksten bei Temperaturen zwischen 25 °C und 45 °C. Bei Temperaturen über 60 °C sterben sie ab und unterhalb von 20 °C vermehren sie sich kaum. So einfach diese Feststellung klingt, so schwierig ist es, in modernen Gebäuden baulich und technisch Lösungen zu finden, damit die Wachstumsfaktoren zur Gänze ausgeschlossen werden können. Am meisten gefährdet sind Einrichtungen, in denen das Wasser nicht permanent fließt, sondern nur fallweise. Längere Zeit ungenutzte Hotelzimmer und Ferienwohnungen sind besonders in den Sommermonaten geradezu prädestiniert dafür, gefährliche Mitbewohner in der Dusche zu beherbergen. Aber es lauert auch in vielen anderen Gebäuden die Infektionsgefahr. Selten genutzte Wasserentnahmestellen zählen jedenfalls dazu. Und die gibt es in fast jedem Gebäude, sei es, weil Räume nur sporadisch genutzt werden oder weil die Bedingungen für die Vermehrung der Erreger optimal sind. Dazu trägt auch die moderne Bauweise bei, weil es kaum mehr kalte Bereiche in den Häusern gibt.

Geberit hat einige der typischen Hygiene-Schwachstellen in Trinkwassersystemen identifiziert. Dazu gehören unnötig große Rohrdurchmesser, die die Stagnation steigern, ebenso wie schlecht gedämmte Warm- und Kaltwasserleitungen, die den empfohlenen Temperaturbereich vereiteln. Auch die Verwendung von nicht zertifizierten Systemkomponenten und natürlich Wartungsmängel an Filtern sowie Verschmutzungen, die während der Errichtung des Leitungssystems eingebracht werden, fördern Hygienemängel.

Das Problem der Legionella wurde von Gebäudebetreibern lange Zeit wenig ernst genommen. Aber, die Trinkwasserverordnungen, sowie die ÖNorm B5019, sowie ÖNorm B1300/B1301 geben klare Richtlinien für die hygienerelevante Planung und Errichtung, sowie den Betrieb und die regelmäßige Kontrolle von Trinkwasseranlagen, legen besonders das Augenmerk auf das mögliche Vorhandensein von Legionellen.

Zur Vermeidung von verkeimtem Trinkwasser gibt es inzwischen viele Ansätze. Das Aufheizen und der Einsatz von Chemie werden ersetzt und ergänzt durch Technik. Eine Lösung, die zunehmend verbaut wird, ist die im WC-Spülkasten verbaute Stagnationsspülung. Aber natürlich haben auch die Armaturenhersteller ihre Hygiene-Chance längst erkannt und ihren Wasserhähnen Intelligenz eingehaucht. In der Königsklasse Wassermangementsystem agieren sämtliche Komponenten einer Trinkwasseranlage untereinander, liefern Daten und spülen die Leistungen dann, wenn es erforderlich ist.

Das Trinkwassermanagement-System AquaVip Solutions von Viega erhebt diesen Anspruch. Es geht erstmals von einer digital komplett vernetzten Trinkwasserinstallation aus. Das Gesamtpaket sollte dafür sorgen, dass die Trinkwassergüte vom Hausanschluss bis zur Entnahmestelle lückenlos dokumentiert und kontrolliert wird und das täglich genutzte Wasser genauso rein ist, wie es vom Versorger ins Gebäude kommt. Im System mitenthalten ist die Ultrafiltration, welche die Gesamtzahl an Bakterien und Nährstoffen im Trinkwasser reduziert, so der Hersteller. Wenn alle nötigen Rahmenbedingungen eingehalten werden, ermöglicht das System eine Absenkung der Warmwassertemperatur auf 50 Grad – ein Faktor, der bislang aus hygienischen Gründen als unmöglich angesehen wurde. Um die Planung solcher Anlagen zu erleichtern, hat Viega das Tool Viptool Engineering konzipiert, das Planer vom Entwurf bis zur Ausführungsplanung unterstützt. Auch das Hycleen Automation System von Georg Fischer steuert die gesamte Trinkwasserinstallation über einen zentralen Master. Mit dem automatisierten Zirkulationsregelsystem sorgt GF Piping Systems für fließende Harmonie in der gesamten Installation. Alle Systemdaten können über den Master gesteuert, protokolliert, ausgewertet und auf einem Touchscreen dargestellt und überwacht werden. Statusinformationen und ungewöhnliche Ereignisse werden durch Push-Benachrichtigungen angezeigt. Das System ist seit 2018 am Markt und wurde inzwischen vielfach verbaut. Die Lösung sorgt durch Zirkulation und einen permanenten hydraulischen Abgleich in allen Leitungen für eine konstant hohe Temperatur von mehr als 55°C und so weitgehend für Keimfreiheit. Und: Das Hycleen-System lässt nur so viel Warmwasser in die Leitungen wie notwendig und vermeidet auf diese Weise den Verlust von Wärme und Energie. „Besitzer oder Verwalter von großen Häusern und Gebäuden mit zahlreichen Anschlüssen sparen so bis zu 15% Energie ein“, so das Versprechen von GF. Dass sich das Hycleen Automation System nicht nur für bestehende Gebäude, sondern auch für Neubauten eignet, zeigt Senevita Mülibach, ein Senioren- und Pflegezentrum 15 Kilometer nordwestlich von Zürich (Schweiz). Das markante, ellipsenförmige Gebäude bietet auf vier Etagen 81 Pflegezimmer und 18 Alterswohnungen sowie Verwaltungs- und Infrastrukturräume. Von der Bestellung bis zur Lieferung des Hycleen Automation Systems vergingen lediglich zwei Wochen. Dann wurde montiert und angeschlossen – insgesamt 260 Meter Kabel, 19 Adapter, 18 Ventile und 1 System-Master mit Steuerungsbildschirm.

Gesamtheitliche Betrachtung

Ebenfalls gesamtheitlich betrachtet Geberit das Thema Trinkwasserhygiene. „Die Hygienespülung sorgt für einen sicheren Wasseraustausch in stagnationsgefährdeten Bereichen der Trinkwasserinstallation. Typische Einsatzbereiche sind beispielsweise Hotels und Pensionen, Krankenhäuser und Altersheime, Schulen, Sporthallen, Kasernen oder Ferienhäuser. Durch das Öffnen der Ventile wird Stagnationswasser aus der Leitung gespült und durch frisches Trinkwasser ersetzt. Die Geberit Hygienespülung gibt es in verschiedenen Varianten mit integriertem Siphon. Das Modul ist in die hauseigenen Installationssysteme GIS und Duofix integrierbar. Für die Planung stellt Geberit den sogenannten ProPlanner zur Verfügung. Die Steuerung und Programmierung des Systems erfolgt mit einer Smartphone-App für iOS und Android über Bluetooth. Schnittstellen für die Einbindung in die Gebäudeleittechnik (GLT) sind ebenfalls vorhanden (RS485 und Digital I/O). Für die schnelle Installation und als Lösung für vorübergehende Stillstände im Wassersystem bietet Geberit die Hygienespülung Rapid.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Schell mit seinem Wassermanagement-System SWS, das verspricht, Hygiene und Wassersparen in Einklang zu bringen. „Es lässt sich einfach installieren sowie spielend bedienen und unterstützt dank automatisierter Stagnationsspülungen mit turbulenten Strömungen den Erhalt der Trinkwassergüte. Sicherheit bieten dabei z. B. Analyse, lückenlose Dokumentation und Reportings, so Schell.

Darüber hinaus ermöglichen die Erstellung von Raumplänen, Gruppenbildung und Funk und/oder Kabelvernetzung mehr planerische Flexibilität bei Neubau und Sanierung. Zudem ist es mit jeder Gebäudeleittechnik kompatibel, so der Hersteller. Neu im Schell-Baukasten der Montage-Module ist das WC-Spülkasten-Modul Montus Flow mit integrierter Stagnationsspülung erweitert. Das in erster Linie als Komponente für das Wassermanagement-System SWS entwickelte Modul kann alternativ auch per SSC Bluetooth®-Modul Flow gesteuert werden.

Auch bei Uponor gibt es eine ganze Reihe von Lösungen, die der Hygienesicherung von Trinkwasser dienen. Das beginnt beim neuen Fittingsystem S-Press Plus, das mit hygieneoptimierten Materialien aufwartet. Die höhere Kunst stellt dann das Hygiene-Spülsystem Uponor Smatrix Aqua Plus. Es überwacht und reguliert die Trinkwasserinstallation im Gebäude rund um die Uhr – ganz einfach am Computer oder mobil von unterwegs. Mit geringem Zeit- und Kostenaufwand von der Planung bis zum Betrieb lassen sich damit die hygienischen Anforderungen von Trinkwasserinstallationen erfüllen, so Uponor. Im Betrieb läuft das System autonom ohne zusätzliche Software, also ohne Einbindung in die Gebäudeleittechnik. Im Bedarfsfall versendet das System, dessen Installation und Inbetriebnahme einfach sein soll, automatisch E-Mails.

Auch die Firma Kemper präsentierte auf der IFH-Intherm Fachbesuchern neueste Erkenntnisse und wirtschaftliche Lösungen zur Vermeidung hygienerelevanter Risikofaktoren. Im Fokus stehen Lösungen, die Ökologie und Trinkwasserhygiene miteinander verbinden. „Wichtig ist es, Spülmaßnahmen speziell zur Temperaturhaltung im Kaltwasser und die dadurch erhöhten Wasserverbräuche weitestgehend zu vermeiden – besonders im Hinblick auf den Klimawandel und zu erwartende Phasen mit eingeschränkter Wasserverfügbarkeit“, heißt es von Seiten des Olper Unternehmens.

Eine Kaltwasserkühlung mit KHS CoolFlow zeige hier, was möglich ist. Und dass auch im Bereich der Stagnationsvermeidung Möglichkeiten zur Minimierung von Spülmengen bestehen, demonstriert Kemper erstmals auf einer Präsenzmesse mit der neuen Generation Hygienespülungen.

 

IT FÜR DAS WASSER

Start-up punktet mit automatischen Regelsystemen für Trinkwassernetze. Am Ende hat Paul in der Kategorie Gebäude und Energieeffizienz gesiegt. Rund 200 Proptechs haben ihre innovativen Lösungen für künftige Herausforderungen in der Immobilienbranche eingereicht. Sascha Müller, Gründer und Chairman von Paul, nahm kürzlich in Frankfurt die Auszeichnung entgegen und erklärte den Gästen. „Durch die Digitalisierung der Haustechnik spart Paul 15 Prozent der Gesamt-Energie im Gebäudesektor“, so Müller. Doch was macht ein Tool, das sich nennt wie der Installateur von nebenan eigentlich? „Paul optimiert in nahezu Echtzeit Bestandsgebäude. Mit Sensoren, Aktoren und Künstlicher Intelligenz revolutionieren wir minimalinvasiv Wasser- und Heizungsnetze. Paul kann und möchte 15 Millionen Tonnen CO2 in der Immobilienwirtschaft einsparen“, so der Paulaner.

Die Paul GmbH ist eine 100%ige Tochter der Actaqua GmbH mit Sitz in Mannheim. Sie beschäftigt sich seit 2017 mit der Digitalisierung von Gebäudetechnik. Ziel ist die signifikante Senkung von Energieverbrauch und CO2-Ausstoß, die Reduktion von Verwaltungsaufwand und die Verbesserung der Trinkwasserhygiene, der Wirtschaftlichkeit und der Wohnqualität von Immobilien. Die Hauptprodukte sind automatische Regelsysteme für die Trinkwasseranlage und das Heizungsverteilnetz, die fortlaufend den hydraulischen Abgleich vornehmen und sie mit Künstlicher Intelligenz analysiert und optimal einstellt. Und das mit Erfolg: Bei Paul und Actaqua arbeiten über 50 Mitarbeiter, bislang sind rund 150.000 Wohneinheiten an Paul angeschlossen. 2020 erwirtschaftete die Actaqua-Gruppe einen Umsatz von 4,9 Millionen Euro.