Heidelberg wird Bergbau-Stadt

Als erste Stadt Europas will Heidelberg mit dem Pilotprojekt „Circular City – Gebäude-Materialkataster für die Stadt Heidelberg“ das Urban Mining-Prinzip etablieren. Kurzum, Heidelberg wird Bergbaustadt.

Rund die Hälfte des Abfallaufkommens in Deutschland machen Bau- und Abbruchabfälle aus, wiederverwertet wird nur ein kleiner Teil davon, und das zumeist in minderwertigerer Form. So landen bei Umbau- oder Abrissarbeiten Materialien wie Beton, Stahl, Holz oder Kunststoff meist auf der Deponie oder als Füllmaterial im Straßenbau, obwohl sie für neue Bauvorhaben dringend benötigt und teuer bezahlt werden.

Mit dem Pilot-Vorhaben will Heidelberg als Pionier der Kreislaufwirtschaft in der Stadtentwicklung und im Städtebau vorangehen. Für Jürgen Odszuck, der als Erster Bürgermeister zuständig für die Ressorts Stadtentwicklung und Bauen ist, bedeutet Urban Mining ein entscheidender Schritt, um die Klimaziele der Kommune zu erreichen: „Urban Mining als eine Art moderner Bergbau in der Stadt kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.“
Für das ehrgeizige Vorhaben hat sich die Stadt mit HeidelbergCement, Madaster und Epea erfahrene Experten im Bereich des nachhaltigen Bauens ins Boot geholt. Ziel ist eine vollständige ökonomische und ökologische Analyse des gesamten Gebäudebestands, der in einem digitalen Materialkataster zusammengefasst wird. Das Kataster soll fortan Auskunft darüber geben, welches Material in welcher Qualität und in welcher Menge verbaut wurde.

Gebäude als Materiallager

Grundlage für das Kataster bildet der vom Umweltberatungsinstitut Epea entwickelte Urban Mining Screener. Dabei handelt es sich um ein Programm, das anhand von Gebäudedaten wie beispielsweise Bauort, Baujahr, Gebäudevolumen oder Gebäudetyp deren materielle Zusammensetzung auf Knopfdruck schätzen kann. Die ersten Gebäude sind bereits erfasst: Das Patrick-Henry-Village, eine ehemalige Wohnsiedlung für Angehörige der US-Armee, ist mit rund 100 Hektar die größte Konversionsfläche Heidelbergs. Langfristig sollen hier Wohnungen für 10.000 Menschen und Raum für rund 5.000 Arbeitsplätze entstehen. Noch stehen hier aber 325 Gebäude, die für die neue Siedlung saniert oder abgerissen werden müssen – ein gigantisches Rohstofflager, wie der Urban Mining Screener berechnet hat: Die Siedlung enthält rund 465.884 Tonnen Material, davon entfällt etwa die Hälfte auf Beton, ein Fünftel auf Mauersteine und gut 5 Prozent auf Metalle. Im nächsten Schritt soll das Kataster auf den gesamten Gebäudebestand Heidelbergs ausgeweitet werden.

29 Milliarden Tonnen Material

Übrigens: In ganz Deutschland summiert sich die Rohstoffsubstanz der Gebäude auf etwa 15 bis 16 Milliarden Tonnen, das sind 190 Tonnen pro Person. Unter Berücksichtigung des Tiefbaus wie Straßen ist ein Rohstofflager von fast 29 Milliarden Tonnen entstanden. Zu den potenziell wiederverwendbaren Materialien zählt neben Stahl oder Kunststoff auch Beton. Das Potenzial hierfür ist sehr hoch, denn nach Wasser ist Beton der am meisten verwendete Stoff der Welt. Seine Herstellung ist allerdings mit hohen CO2-Emissionen verbunden. „Beton ist viel zu wertvoll, um ihn bei Umbau oder Abrissarbeiten auf der Deponie oder im Straßenunterbau zu entsorgen“, sagt Thomas Wittmann, Geschäftsführer der HeidelbergCement-Tochter Heidelberger Sand und Kies. „Stattdessen wollen wir Abrissbeton durch neuartige Verfahren zerkleinern, sortenrein in seine Bestandteile trennen und ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft wieder in den Baukreislauf zurückführen. Darüber hinaus arbeitet HeidelbergCement an einem Verfahren, die anfallenden Feinanteile zu nutzen, um CO2 zu binden und damit den Ausstoß bei der Zementherstellung zu reduzieren. Für dieses Projekt ‚ReConcrete-360°‘ hat HeidelbergCement kürzlich den Innovationspreis für Klima und Umwelt 2022 erhalten.